Weil heute die Tage der deutschsprachigen Literaur, vulgo “Bachmannpreis” in Klagenfurt, eröffnet werden, hier ein uralter Text aus dem Jahr 2004, eine Uraltness, die sich durch das lebendige Herumspringen Jörg Haiders im Text schwer verbergen lässt.
Der junge Herr in der dunklen Jacke mit der Mappe unterm Arm drückt auf den Klingelknopf und wartet auf Antwort, sein unsagbar verlorener Blick seitwärts die Promenade hinauf zeigt, dass er jetzt gerne ganz woanders wäre. *Krks* “Bitte?”, knarzt es aus dem Torpfosten.
“Ja, Grüß Gott, Tele2 Mobilfunk, wir hätten gerne mit Ihnen über unsere Angebote gesprochen”. Ich erinnere mich an ein halbstündiges Abwehrgefecht mit zwei traurigen aber hartnäckigen Tele2-Gestalten an meiner Tür, und mein Mitleid schwindet rapide, aber verstehen kann ich es schon, dass man woanders sein will, wenn man sich gerade in Klagenfurt befindet.
Aber ab und zu zieht einen etwas aus der Hauptstadt hinaus, in Orte, deren Namen sich anhören, als wären sie der Donald-Duck-Übersetzerin und Onomatopöie-Queen Dr. Erika Fuchs beim Besuch eines Sägewerks eingefallen, man denke nur an SCHRUNS-TSCHAGGUNS. Das gibt einem unter anderem Gelegenheit, an der Autobahnraststätte Bad Fischau die von F.Hundertwasser gestaltete “Erlebnis-Toilette” zu besuchen; der erklärte Feind alles Geraden hat sich jedoch nur im Eck unter den Waschbecken getraut, den Fußboden etwas anzuwölben, wohl damit kein übermüdeter LKW-Fahrer erlebnisüberlastet auf die bunten Fliesen knallt.
Danach durchquert man leeres Hügelland mit lustigen Schildern wie “Pinkafeld - schönste Stadt Europas”. Ob in oststeirischen oder südburgenländischen Reiseführern Venedig als “Pinkafeld des Südens” bezeichnet wird?
Irgendwann überquert man einen Bergkamm und steht vor einer diesig-suppigen Ebene. Das ist dann Kärnten. Der erste Gedanke in Kärnten, der sich auch nach Stunden beharrlich weigert, wegzugehen, ist: “Man sollte hier mal lüften”. Wenn man für Kärnten etwas richtig Gutes tun wollte, müsste man ein paar Berge wegsprengen, um frische Fallwinde vom Balkan oder von der Adria reinzulassen.
Aus dem Dunst tauchen dann recht bald die Wahlplakate auf, darauf abgebildet der zähnebleckende Jörg, umringt von ihn anstrahlenden, leicht vergilbt aussehenden Mitbürgern, der Slogan: “Weil er uns versteht”.
Es ist, zugegeben, schwer, unvoreingenommen durch Klagenfurt zu spazieren, ich komme mir unfair vor in meinem Argwohn. Kaum sieht man zwei Pensionistinnen die Köpfe zusammenstecken, lauert man auf rechtsradikales Gedankengut und zückt den Notizblock, damit man die Omas wegen Wiederbetätigung anzeigen kann. Kaum sieht man einen abgesägten Alleebaum mit morschem Inneren, denkt man: “AHA! Symbol der Kärntner Seele!”
Aber hat nicht Freundin Astrid, aus Kärnten nach Wien geflüchtet, so oft Schlimmes von den Kärntner Seelen erzählt, und dass sie sich mit Vorliebe in ihren Seen ertränken?
Es scheint verständlich, eine Tod-in-Venedig-Stimmmung liegt über der Stadt, die erstickt und leblos wirkt, und die eigentlich ganz hübschen Villen schauen schlaff drein wie Möpse auf Valium.
Im “Hain der volksdeutschen Landsmannschaften” am Seeufer wird darauf hingewiesen, dass Hunde anzuleinen sind, damit nicht irgendein rasseunreiner Dackel eine Eiche aus dem Sudetenland verunreinigt.
Der Wörthersee selbst ist mit einem Geländer versehen, an dem alle drei Meter ein grünes Notausgang-Schild angebracht ist. Last Exit vor der Sackgasse. Daneben bewerfen junge Familien die Wasservögel mit Eisbrocken, was diese mit gereiztem “pix, kjöw, kjuk, pssi!” (Bläßhuhn), “quiurr!” (Höckerschwan), “rhäb rhäb!” (Stockente) und “korr, gröck, ktik, bili-bili!” (Haubentaucher) quittieren.
Unvermittelt kommt mir die Idee für einen Haider-Werbespot, in dem man ihn am Ufer des Wörthersees umherrennen und enthemmt “GRÖCK! RHÄB RHÄB! PSSI!” kreischen sieht, und eine Ente hebt das, was bei Enten als Daumen durchgeht, in die Kamera und sagt grinsend: “Weil er uns versteht!”.
Also nichts wie zurück in die Stadt, zum FPÖ-Wahlkampfbüdchen und meine Idee an den Mann gebracht, sicher wird der Jörg da herumlungern und gleich auf mich zuspringen. Da ist aber nur ein Klon von ihm, und zwar Landeshauptmann-Stellvertreter Ing. Karl Pfeifenberger, die Nummer 2 im Lande. Nö, mit dem rede ich nicht. Wenig später kreuzt er aber schon wieder meinen Weg. Mit zwei jungen Walhkampfhelferinnen und einem feisten Bürscherl, alle trachtenbejankerlt, stürzt er aus einer Café-Bar, deutet auf den Juwelierladen gegenüber und schreit fröhlich: “Da gemma jetzt a no rein!”
Eine Viertelstunde später, im “Café am Platz”, taucht er abermals neben mir auf, er hat jetzt den Janker gegen ein braunes [hier meinetwegen ein meterhohes brennendes “sic!” hindenken] Sakko getauscht, und bald trudeln die restlichen FPÖ-Granden ein, minus die Nummer 1, der hat nur seinen Sprecher Karl-Heinz Petritz geschickt. Ein rotgesichtiger Gast neben mir hebt sein Rotweinglas und prostet unterwürfig der Politprominenz zu, “mir passn scho auf, gell!”
Zu meiner Rechten sitzt eine ältere Dame, sie hat sich fein gemacht, sie ist nervös, sie ist in den letzten 10 Minuten schon dreimal auf der Toilette gewesen, nestelt an ihrem Stoff-Einkaufssackerl herum, da kommt ein älterer Herr auf sie zu, sicher weit über 70, aber von gesundem, rosig-alpinem Teint, auch er im schicken Anzug, und fragt schüchtern: “Sind sie…..?” Sie nickt freudig, und gleich wird er ihr erzählen vom Skiliftsystem,das er in der Steiermark aufgebaut hat, und ihrer beider Füße scharren verbogen und aufgeregt am runden Tischfuß, und die wichtige Telefonate führenden FPÖ-Burschen hinter ihnen sind ihnen ganz egal. Dann sagt sie “Ich muss jetzt leider gehen” - “Aber wir können uns ja jetzt jeden Montag hier treffen” - “Ja, rufen wir uns zusammen” - “Wiederschaun, hat mich gefreut”.
Er sitzt noch kurz versonnen blickend vor seinem Kaffee, dann zahlt er und geht, und ich denke: Es gibt noch Hoffnung für Kärnten.