Richard Rogers’ Umbau der ehemaligen Stierkampfarena von Barcelona wurde nach langer und schwieriger Bauzeit eröffnet
Als das katalanische Parlament am 28.Juli letzten Jahres die Geschichte des Stierkampfes in der autonomen Region per Gesetz ein für alle mal beendete, war auf Barcelonas Straßen die Zahl der Protestierenden weit niedriger als die der Jubelnden. Kein Wunder, gilt doch die Corrida als Sinnbild des kastilisch dominierten Spanien, mit dessen blutrünstigem Stolz man so wenig wie möglich zu tun haben wollte. Die Toreros von heute kämpfen im Stadion Camp Nou und heissen Xavi, Messi und Iniesta. Die wenigen Stierkämpfe, die es in Barcelona noch gab, waren nicht viel mehr als Show für Touristen.
Noch prangen an der prachtvollen „La Monumental”, der letzten der ursprünglich drei großen Arenen von Barcelona, die noch genutzt wird, die Schilder mit den Kategorien „Sol” und „Ombra”, die die teuren Schatten- und die billigen Sonnenplätze ausweisen. Ab 2012, wenn das Verbot in Kraft tritt, wird der 20.000 Besucher fassende Rundbau sich nach fast 100 Jahren todesmutigen Torerogetänzels auf unblutige Events wie Konzerte beschränken müssen.
Am anderen, westlichen Ende der Stadt ist diese Transformation schon abgeschlossen: Der zweite noch erhaltene Stierkampfschauplatz, die Arenas de Barcelona, wurde Ende März nach Jahrzehnten des Leerstands und Zerfalls in neuer Funktion eröffnet - als Shoppingcenter. Wo früher Matadores und Picadores in sengender Hitze mit schnaubenden Stieren rangen, drängen sich jetzt kauflustige Besucher auf den Rolltreppen. Dass dieses erste Zeichen der Abschieds von der „nationalen Fiesta” ausgerechnet an der prominenten Plaça d’Espanya steht, ist eine kleine Ironie am Rande.
Dabei ist dieser Ort, am Eingang zur Stadt, gegenüber der Messe am Fuße des Montjuic, und nur ein paar Blöcke vom Bahnhof Sants entfernt, ganz pragmatisch gesehen ein Gustostückerl für jeden Developer. Kein Wunder also, dass die im Jahr 2003 vom britischen Stararchitekten Sir Richard Rogers präsentierte Idee, den gemauerten Ring mit einem Durchmesser von 100 Metern zu entkernen und multifunktionell zu füllen, bei Investoren und Stadt freudig aufgenommen wurde. Immerhin war Richard Rogers in Spanien schon mit einigen Großprojekten wie dem eleganten Flughafen Madrid erfolgreich gewesen.
Für seinen ambitionierten Plan musste die ornamentale Fassade im Neomudéjar-Stil aus dem Jahr 1900 mit enormem Aufwand an Ort und Stelle fixiert werden, während Tribünen, Sockel und Boden entfernt wurden, um Platz für das neue Innenleben zu schaffen.
Fragiler Balanceakt
Den Passanten bot sich so zwei Jahre lang das spektakuläre Bild eines in der Luft schwebenden, nur von dünnen Stahlstreben gehaltenen fragilen Mauerrings. „Diese Phase war die schwierigste der ganzen Bauzeit”, erinnert sich Luis Alonso von Alonso Balaguer, Richard Rogers’ Partnerarchitekten vor Ort. „4000 Tonnen Mauerwerk 20 Meter in die Höhe zu stemmen- und die Tunnels der Metro mit ihren Vibrationen sind nur vier Meter entfernt!”
Zu einem Balanceakt wurde auch die Fertigstellung. Sprachen die Stadtoberen in der Anfangseuphorie noch von einer Bauzeit von 30 Monaten, erwies sich der Bau zunächst als komplizierter als gedacht, später kam die Finanzkrise hinzu, die den spanischen Bau- und Immobiliensektor besonders hart traf. Anfang 2009, als „la crisis” richtig einschlug, war der Auftraggeber zahlungsunfähig, die Bauarbeiten für mehr als ein Jahr eingestellt. Erst als der Immobilienkonzern Metrovacesa mit dem Rückhalt einer deutschen Bank als Investor einsprang, rollten die Bagger wieder an.
„In der heutigen wirtschaftlichen Lage wäre so ein Projekt völlig unmöglich”, sagt Alonso. „Spanien müsste sich politisch und sozial komplett ändern, um die Krise zu überwinden. Aber das passiert leider nicht.”
Als sich nach achtjähriger Bauzeit die Tore öffneten, waren die vorgesehenen Baukosten von 100 Millionen Euro auf rund 190 Millionen gestiegen. Noch dazu war die Partnerschaft von Richard Rogers und Luis Alonso aufgrund zunehmender Differenzen im Endspurt auf der Strecke geblieben. Metrovacesa entschied sich, den Bau mit dem spanischen Büro alleine fertigzustellen.
Kein Wunder also, dass vor Ort die Erleichterung dominierte, dass die Eröffnung überhaupt stattfand. „Endlich fertig - Las Arenas trotzt der Krise!”, konstatierte die Lokalpresse zur Eröffnung, und Metrovacesa-Chef Vitalino Nafría durfte stolz verkünden, dass alle 116 Shops vermietet seien und das Bauwerk nun seinen ihm zustehenden Platz als modernes Wahrzeichen der Stadt neben Jean Nouvels Torre Agbar und den Olympiabauten einnehmen könne.
„Las Arenas ist ein Landmark des 21.Jahrhunderts für die Stadt”, sagt auch Richard Rogers. Wie zum Beweis wurde neben dem Rundbau eine dünne Nadel mit Aussichtsplattform in die Plaça d’Espanya gesteckt - fast, als traute man der Landmarkfähigkeit der mächtigen Arena nicht so recht.
In der Tat verbergen sich die wahren architektonischen Leistungen vor allem im Inneren: Hier galt es, über 100.000 Quadratmeter Nutzfläche unterschiedlichster Art zu verteilen. „Wir haben von Anfang an auf einer maximalen Anzahl von Nutzungen bestanden, damit die Räume rund um die Uhr benutzt werden – ich nenne es ‘funktionale Promiskuität’”, sagt Luis Alonso. „Shopping alleine reicht nicht.”
Piazza im Himmel
Ein Puzzlespiel mit dem Raumprogramm. Wie immer bei Richard Rogers ist die Lösung direkt an der Konstruktion zu erkennen: Unten Shopping, oben Kinos, ein Rockmusik-Museum, ein Sportzentrum inklusive umlaufender Rennstrecke – jeder Bereich steht auf eigenen Füßen und leitet seine Lasten selbst in den Untergrund. Der wahre Besuchermagnet findet sich ganz oben: Wie ein Deckel auf einem überkochenden Topf schwebt eine Scheibe über den alten Mauern, deren lange Spinnenbeine das Atrium darunter bis ins Erdgeschoss durchkreuzen. „Diese ‘Piazza im Himmel’ ist der spektakulärste Aspekt des Umbaus”, so Richard Rogers.
Herzstück der Piazza: Eine flache Kuppel mit einem Durchmesser von 76 Metern, hier soll Platz für Konzerte und Kongresse für die Messe gegenüber sein. „So einen Raum gab es in Barcelona bisher nicht”, schwärmt Alonso. Höher als 12 Meter durfte die Kuppel nicht sein, sie sollte von der Plaça d’Espanya möglichst unsichtbar bleiben. Dadurch wirkt die technoide Scheibe, auf der sie steht, vom Platz aus wie ein überdimensionierter Helikopterlandeplatz.
Von oben jedoch eröffnet sich den staunenden Besuchern ein 360-Grad-Panorama über den Dächern von Barcelona. Dieses dürfte den Erfolg des Projektes am nachhaltigsten garantieren. Nach dem lokalpatriotischen Rundblick warten dann im Erdgeschoss die Devotionalien im Fanshop des FC Barcelona. Und die Corrida verblasst zur Erinnerung.
(erschienen in DER STANDARD, 9./10.4.2011)