"Ich hasse Dinge, die nicht gemütlich sind"

Isay Weinfelds Entwurf für das Hotel Intercontinental ist umstritten. Der brasilianische Architekt über die Tugend des Zuhörens, die Wichtigkeit von Schlafzimmern und – Fußball

Der geplante Turm am Wiener Heumarkt, ein Zubau zum Hotel Intercontinental, die Neugestaltung des Eislaufvereins sorgt seit Monaten für Aufregung. Befürworter und Investoren sehen darin ein Stück Stadtentwicklung, Gegner und Experten stellen die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, und fordern einen Masterplan für die sensible Zone. Jetzt kommt Isay Weinfeld, 62, zu Wort, der mit seinem Entwurf den Wettbewerb gewonnen hat. Der brasilianische Architekt war kürzlich in Wien, hielt einen Vortrag im Architekturzentrum und sprach mit dem Falter über das Projekt. Und über Fußball.

Herr Weinfeld, bei Ihrem Vortrag sprachen Sie nicht über das Intercontinetal, sondern zeigten Auszüge aus Filmen und inspirierende Bilder. Wieso das denn?

Isay Weinfeld: Schon als Student fand ich es langweilig, wenn ich mir stundenlange Projektbeschreibungen anhören musste. Das ist zu technisch, das interessiert ein Publikum nicht. Ich will den Leuten lieber etwas zeigen, was ihnen gefällt, wenn sie schon kommen, um mir zuzuhören. Eigentlich spreche ich überhaupt nicht gerne, ich hasse es!

Aber die Bilder und Filme haben mit Ihren Gebäuden zu tun?

Natürlich. Das bin alles ich.

Gab es Bezüge zu Ihrem Entwurf für das Hotel Intercontinental?

Nicht direkt. Aber all diese Inspirationen sind in mir drin, es läuft alles durch denselben Trichter.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Wettbewerbsentwürfen gehen Sie sehr schonend mit der Hochhausscheibe des Hotels um. Was schätzen Sie an diesem Bau aus den 1960er-Jahren?

Es ist an dieser Stelle einfach schon ein Statement. Es ist ein ikonischer Bau, den man nicht wegreißen sollte, stattdessen kann man ihn anpassen. Außerdem wäre das Neubauvolumen im Falle eines Abrisses viel größer und wuchtiger geworden. Unser Entwurf ist es an dieser Stelle ausgewogener und harmonischer.

Ihr Entwurf ist unter Laien und Fachleuten umstritten, viele finden ihn zu simpel. Was ist Ihr Gegenargument?

Ich finde, das ist ein Kompliment! Die Stadt sollte froh darüber sein, dass er so simpel ist. Stellen Sie sich vor, was es für eine Diskussion gäbe, wenn man an dieser Stelle eine gigantische Skulptur bauen würde! Ich bin sicher, dass das, was wir hier planen, gut in die Umgebung passt und sie respektiert. Es geht hier nicht um mein Ego, oder darum, ein Meisterwerk zu schaffen.

Viele sehen das Unesco-Weltkulturerbe und den Canaletto-Blick gefährdet.

Wir respektieren die Unesco und warten ab, was sie dazu sagt. Was Canaletto betrifft: Mich interessiert eher der göttliche Blick als der von Canaletto. Denn es kann nicht um einen einzigen Blick aus der Ferne auf ein Gebäude gehen. Architektur ist dreidimensional. Ich versuche, das Beste zu tun, was ich kann, und Architektur zu bauen, an die ich glaube. Ich respektiere andere Meinungen dazu, aber das sind eben Meinungen.

Was werden die nächsten Schritte sein?

Wir reden mit allen Leuten, die beteiligt sind, mit den Nachbarn, mit dem Eislaufverein, mit dem Investor. Wir sind erst ganz am Anfang. Ich bin kein Architekt, der sagt: „Ich bin ein Genie, mein Werk darf nicht verändert werden!“ Im Gegenteil. Zuhören zu können ist die wichtigste Tugend des Architekten. Und bisher sind alle meine Projekte durch den Bauherren und die Beteiligten verbessert worden. Viele Architekten klagen, der Bauherr habe ihre Arbeit ruiniert. Bei mir ist es das Gegenteil.

Dann haben Sie aber Glück gehabt.

Ich weiß! Aber ich habe meine Bauherren auch immer sorgfältig ausgesucht und ich konnte ihnen vertrauen. Ich will Spaß im Leben haben, ich muss nicht reich werden oder in allen Zeitungen stehen. Ich brauche meine tägliche Dosis Vergnügen. Nur so kann ich auch anderen durch meine Bauten Vergnügen bereiten.

Bei allem Zuhören: Gibt es Aspekte Ihres Entwurfes, die Sie nie verändern würden?

Natürlich. Ich würde nie etwas tun, an das ich nicht glaube. Wenn jemand sagt: „Sehr schön, aber ich hätte gerne, dass es aussieht wie ein Vogel“, oder: „Mach den Turm nur halb so hoch!“, sage ich: „Nein. Ich bin der Profi. Du nicht. Du musst mir vertrauen.“ Ich bin zwar flexibel, aber ich weiß, wie man das Ganze in Form bringt.

Die Bauten, die Sie in Brasilien realisiert haben, fallen vor allem durch ihre genau geplanten Interieurs und Möbel auf. Wie realisieren Sie diese Qualität, wenn Sie auf einem anderen Kontinent bauen?

Genau aus diesem Grund baue ich sehr wenig. Ich will bei meinem Baby sein, bis zum Ende und auch danach. Wenn ich ein Hotel baue, suche ich jedes Handtuch selbst aus, und am Schluss stelle ich noch die Blumen in die Vasen. Ich hoffe, das wird hier genau so sein. Viele Architekten sagen: Ach, die Innenräume sind nicht so wichtig. Das ist ein Fehler! Ich liebe Möbel, ich entwerfe Möbel, ich sammle Möbel, ich weiß, wie Möbel funktionieren. Man muss wissen, wie sich ein Mensch in einem Schlafzimmer bewegt, sonst kann man kein Schlafzimmer entwerfen.

Wenn man Fotos der Originalinterieurs des Intercontinental aus den 1960er-Jahren betrachtet, fallen viele Parallelen zu Ihren aktuellen Bauten auf. Werden Sie diese Interieurs wieder aufgreifen?

Auf jeden Fall! Die waren wunderbar! Ich hasse diese Designhotels. Ein Stuhl hier, ein Sessel da, sieht auf dem Foto schön aus, aber man kann nicht drin sitzen. Ich hasse Dinge, die nicht gemütlich und einladend sind. Das Intercont hat Persönlichkeit und Geschichte, und diese Atmosphäre will ich wiederbeleben.

Im Herbst werden Sie mit einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien (AzW) geehrt – Werkschau oder inspirierende Filme wie bei Ihrem Vortrag?

Ich versuche, alles gemeinsam zu zeigen. Ich habe sehr viele Interessen im Leben. Nicht dass ich ein Multitalent wäre, im Gegenteil – es ist im Prinzip immer dasselbe. Ein Text, den ich schreibe, kann das Gleiche bedeuten wie ein Hauseingang. Eine Tasche für Fendi, ein Sessel oder ein Film kann dieselbe Emotion transportieren wie ein Gebäude oder ein Bühnenbild.

Bevor es so weit ist, wird in Ihrer Heimat die Fußball-WM stattfinden, Großevents dieser Art gelten oft als Aushängeschild für Architektur, etwa bei den Olympischen Spielen in London. Dürfen wir das in Brasilien auch erwarten?

Nein. Wir sind von dieser Qualität meilenweit entfernt. Die Verzögerungen beim Bau, von denen wir ständig hören, das ist das Gesicht Brasiliens. Und es ist gut, dass die Welt dieses wahre Gesicht einmal sieht. Es ist immer dasselbe, alles wird in letzter Minute fertig. Das ist der jeitinho brasileiro, die brasilianische Art. Aber das ist nicht die Art, in der ich arbeite.

Würde es Sie dennoch interessieren, einmal ein Fußballstadion zu bauen?

Vielleicht … ja. Ich liebe Fußball. Ich könnte nie ein Krankenhaus bauen, denn ich hasse Ärzte und alles, was mit Medizin zu tun hat. Ich könnte auch keinen Flughafen bauen, denn ich hasse Flugzeuge und habe furchtbare Flugangst. Aber Fußball? Ja, warum nicht!

Einen Flughafen zu bauen, könnte vielleicht therapeutische Wirkung haben.

Nein! Ich weiß, was Sie meinen, aber: Nein!

 

 

Erschienen in: 
Falter 24/2014, 11.6.2014