Ich habe eine schöne Karriere gehabt

Wer ist eigentlich Rafael Moneo? Die Gebäude des spanischen Architekten und Pritzker-Preisträgers sind nur schwer zu fassen. Seine Architektursprache ist heterogen, sein Werk ist dispers. Bis Ende des Monats ist in Krems eine kleine Ausstellung mit seinen jüngsten Projekten zu sehen.

Interview: Wojciech Czaja und Maik Novotny

Vor ein paar Wochen hatten Sie Geburtstag. Sie sind jetzt 74 Jahre alt. Wie fühlen Sie sich?

Rafael Moneo: Mit 74 ist die körperliche Verfassung eine andere als mit 50 oder 60. Andererseits ist Architektur ein guter Beruf, um auch im hohen Alter noch tätig zu sein. Vieles passiert im Kopf. Schauen Sie sich nur mal Oscar Niemeyer an!

Da können Sie ja noch mindestens 30 Jahre weiterarbeiten!
Ob ich so lange aushalte? Ich weiß nur: Ruhestand ist keine Option für mich. Eher könnte ich mir vorstellen, dass ich aufhöre, als Architekt zu arbeiten. Aber ich möchte niemals aufhören zu unterrichten. Die Arbeit mit den Studenten ist eine wundervolle Sache. Das gemeinsame Gespräch mit den jungen Leuten ist mir sehr wichtig.

Unterrichten Sie noch?
Mein Leben hat sich in den letzten Jahren kaum verändert. Ich arbeite so viel wie immer. Von jeher habe ich die Berufstätigkeit als Architekt mit der Lehre verbunden.

Sie haben aktuell eine Ausstellung in Krems. Was hat Sie von Madrid nach Niederösterreich verschlagen?
Ganz einfach: Ich wurde eingeladen. Man hat mich gebeten, ein paar Vorträge zu halten und Material für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das ist großartig. Ich reise gern und schaue mir gern neue Länder und Kulturen an. Am liebsten fliege ich zu meinen Studenten an die Harvard University in die USA. Und dich komme immer wieder mit neuen Erfahrungen zurück.

Seit wann unterrichten Sie?
Ewig. Eigentlich immer schon.

Und was sagen Sie Ihren Studenten?
Ich möchte meinen Studenten eine Diskussionsplattform bieten. Ich möchte mit ihnen zum Beispiel darüber sprechen, wie sich Architektur im Zuge der Globalisierung allmählich verändert. Und ich möchte mit Ihnen darüber sprechen, welche Verantwortung wir Architekten in Zukunft angesichts dieser Globalisierung tragen werden und tragen müssen. Ich würde Ihnen gern eine präzisere Antwort auf Ihre Frage geben, aber andererseits: Genau darum geht es! Es ist genau dieser objektive Blick, und es ist genau diese Kritikfähigkeit, die in Zukunft immer wichtiger werden.

Hat das Unterrichten je Ihre Arbeit beeinflusst?
Wenn man vor einem fremden Publikum steht und gezwungen ist, über die eigene Arbeit zu sprechen, dann wird man viel aufmerksamer und bewusster. Ich finde das Unterrichten sehr wichtig. Wenn man unterrichtet, dann wird der Blick größer, dann tritt man einen Schritt aus dem eigenen Schaffen zurück und tritt gleichzeitig ein in eine Diskussion über das Phänomen Architektur.

Wird der Entwurfsprozess durch diese Diskussionen schwieriger? Die Entstehungszeit Ihrer Bauten beträgt oft viele Jahre.
Ich mag es, mich zu Beginn an eine einzelne Idee zu binden und dann zu sehen, wohin sie sich entwickelt, wie sie sich verändert. Ich arbeite beim Entwerfen auch nie mit Varianten. Am Anfang ist diese Idee ganz klar und einfach, und später wird sie immer komplex. Oft hat das, was am Ende dasteht, mit der Anfangsidee gar nicht mehr viel zu tun.
 
Ihre Architektur verändert sich also permanent?
Ja, meine Architektursprache ist nicht immer die gleiche. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sie sich, glaube ich, ziemlich verändert. Ich denke, dass das auch von den äußeren Faktoren abhängt. Man kann nicht immer nur sein Ding durchziehen. Projekte entstehen niemals isoliert, sondern immer in einem gewissen Kontext. Und mit jedem Gebäude, das man baut, verändert man diesen Kontext. Manchmal schafft man sogar einen ganz neuen Kontext.

Sind es denn nicht genau diese isolierten Architekturprojekte, die aus der Geschichte heraus bis heute überlebt haben?
Diese Projekte waren und sind Einzelfälle. Auf dieser Basis kann man jedoch keine Städte bauen. Das darf nicht die Regel werden, das müssen Einzelfälle bleiben. Mit den meisten in sich gekehrten und auf sich selbst bezogenen Gebäuden kann ich nichts anfangen. Ein Gebäude, das sich nur auf sich selbst bezieht, ist mir zu wenig. Es muss ausstrahlen, es muss Wirkung zeigen über seine Fassaden hinaus, es muss in der Lage sein, mit der Stadt zu interagieren.

Sie haben auch schon Kirchen gebaut. Wie kritisch sind Sie in Sachen Selbstbezogenheit bei Sakralbauten?
Das ist eine schwierige Frage. Ich habe bisher zwei Sakralbauten errichtet: eine ziemlich große Kirche in Los Angeles und eine kleine Pfarre in San Sebastian, die aber erst jetzt fertiggestellt wird und noch nicht veröffentlicht ist. Ich glaube, ich müsste noch viel mehr Kirchen planen, bis ich mich mit Ihnen ernsthaft über Sakralbau unterhalten kann.

Warum denn das?
Weil das Thema so komplex ist! Geschichtlich bedingt sind Kirchen natürlich freistehende Solitäre, aber dennoch gehen sie einen gewissen Dialog mit der Umgebung ein. Und ganz gleich, ob es sich um eine gotische Kathedrale handelt oder um eine kleine, zeitgenössische Kapelle, ganz gleich, wie sehr eine Kirche in die Stadt eingebunden ist oder nicht: Sie nimmt am Ende dann doch eine Art Sonderstellung ein. Die Kirche ist der Schlussstein der Civitas Dei.

Sie ziehen so eine klare Trennlinie. Gibt es denn so einen großen Unterschied in der Herangehensweise an die Bauaufgabe, abhängig davon, ob es sich nun um eine Kirche oder um irgendein anderes Bauwerk handelt? 
Ja. Kirchen zu planen, das ist inhaltlich etwas sehr Privates und sehr Intimes. Gleichzeitig ist es etwas sehr Öffentliches, denn schließlich planen Sie ein Bauwerk für die Stadt.

Sind Sie gläubig?
Die Frage nach meinem persönlichen Glauben ist sehr privat. Ich bin zwar Katholik, aber ich praktiziere den Glauben nicht sehr stark. Ich würde es jedoch vorziehen, mit Ihnen nicht über Religion zu sprechen.

Dann sprechen wir doch ganz allgemein darüber, wie sich der sakrale Gedanke in einem Gebäude manifestieren kann.
Sehr gern! Ein wichtiger Faktor ist das Thema Material, Licht und Transparenz. Wie Sie sich unschwer vorstellen können, wird man mit Plastik nur schwer eine sakrale Atmosphäre schaffen können. Das geht mit einem so hochwertigen Baustoff wie Glas viel leichter. Das Kongresszentrum Kursaal in San Sebastian ist zwar keine Kirche, aber es ist ein Gebäude mit einem starken sakralen Charakter. Das liegt nicht zuletzt an der Lichtführung und an der transluzenten Glasfassade. Wir haben die gekrümmten Glasmodule sehr sorgfältig entwickelt. Die Lichtstimmung ist fantastisch. Ich denke, dass uns das Projekt gut gelungen ist.

Wann haben Sie das Gebäude lieber? Am Tag oder in der Nacht?
Ich mag den Standort sehr. Das Kongresszentrum liegt direkt am Ozean. Der Kursaal ist eine Art neues Wahrzeichen für San Sebastian geworden. Und es ist ein begehrtes Ausflugsziel. Viele Leute gehen hier spazieren und verbringen hier ihren Sonntag­nachmittag. Das alles spricht für den Tag. Doch gleichzeitig gefällt mir, wie sich die beiden Baukörper in der Nacht in zwei riesengroße Laternen verwandeln. Sie entmaterialisieren sich. Sie werden ganz leicht. Und nebenbei sind sie so hell, dass man in der Umgebung keine Straßenbeleuchtung mehr braucht. Aber es gibt kein Patentrezept dafür. Man muss diese Faktoren sehr vorsichtig von Fall zu Fall gegeneinander abwägen und neu entscheiden.

Wie wichtig sind Licht und Transparenz für Sie?
Sehr wichtig, genau so wie Haptik und Textur. Durch das Licht erkennen wir den Raum, und so finden wir schließlich zur Form. Aber manchmal kann es auch genau anders herum sein.

Wie das?
In San Sebastian hatte ich zuerst die Idee von zwei schweren Monolithen. Dann habe ich mir überlegt, wie man das umsetzen kann, und ich habe erkannt, dass sie nicht transparent, sondern transluzent sein müssen. Das Licht hat sich also durch die Form der Baukörper ergeben. Sie sehen: Baukörper sind ein sehr wichtiges Thema. Durch den Bezug einzelner Volumina zueinander entsteht oft eine sehr große Spannung. Das merkt man bei meinem Projekt in San Sebastian, aber vor allem natürlich beim Opernhaus in Sydney. Das Spannungsfeld zwischen den einzelnen Schalen ist enorm. Ich finde ja überhaupt, dass dem Gebäude eine der schönsten Zeichnungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt. Das ist funktionale Schönheit. Ein überwältigendes Projekt!

Sie haben selbst beim Opernhaus mitgeplant.
Ja, nach meinem Studium habe ich circa ein Jahr lang bei Jørn Utzon gearbeitet. Das muss 1961 gewesen sein. Ich war damals noch sehr jung und sehr neugierig. Ich habe alles aufgesaugt. Obwohl ich nur ein Jahr lang dort war, habe ich bei Utzon viel gelernt. Das war eine spannende Zeit.

Sie haben dann – sogar noch vor ihm – den Pritzker-Preis gewonnen. Hat sich für Sie seit der Preisverleihung 1996 irgend­etwas an Ihrer Arbeit verändert?
Oh ja! Das Tollste am Pritzker-Preis war, dass ich endlich damit aufhören konnte, mich ständig fragen zu müssen, ob ich in meinem Leben je den Pritzker-Preis gewinnen werde oder nicht. Da fällt einem eine Last von der Seele! Der Pritzker-Preis 1996 war also in erster Linie eine große Erleichterung für mich.

Gibt es noch einen Traum für die Zukunft?
Die Gebäude, die mir am wichtigsten sind, die also eine Bedeutung für die Öffentlichkeit haben, die habe ich bereits gebaut. Als Architekt bekommt man sehr leicht das Gefühl einer Omnipotenz und denkt, man hätte schon alles erreicht. Doch das stimmt nicht! Es gibt riesige Lücken in meinem Werk. Beispielsweise hätte ich im Nachhinein gern mehr zum Wohnbau beigetragen. Doch im Großen und Ganzen ich habe ein erfülltes Leben hinter mir. Ich habe eine schöne Karriere gehabt.

Ist kein Wunsch mehr offen?
Schauen Sie: Ich bin zweifelsohne nicht der bedeutendste Architekt auf Erden. Und ich habe zweifelsohne auch nicht die wichtigsten und größten Bauwerke geschaffen. Aber ich habe schon in fast jeder Stadt gebaut, die ich liebe. Sogar schon in New York! Und das ist ein riesengroßes Geschenk. Was will man mehr!

 

(erschienen in: Architektur & Bauforum, 25.07.2011)