Verändert der schnelle Bildkonsum die Architektur? Müssen Räume heute "instagrammable" sein?
Dürfen wir vorstellen: Norman Foster, Baron Foster of Thames Bank, Influencer. Ja, richtig, wir reden von Social Media. Was 17-jährige Kosmetikgirls können, nämlich Online-Gefolgschaft um sich sammeln, kann der 83-jährige Brite mit links. 237.000 Follower hat sein Instagram-Account @officialnormanfoster. Als wäre er nicht schon berühmt genug und hätte eigentlich genug anderes zu tun, zum Beispiel ein paar Flughäfen fertigzubauen, räkelt sich der Architekt in einem aufblasbaren Einhorn auf einem Pool: "Time for the unicorn" lautet seine lapidare Bildunterschrift dazu. 28.775 Instagrammern gefällt das. Architekten und Social Media – das war bisher ein seltsames Verhältnis. Wie in einer ewigen Warteschleife kreiste man vorsichtig umeinander und kam doch nie zusammen. Architektur hat andere Zyklen als Twitter oder Facebook. Die atemlose Schnelligkeit eines Newstickers wird sie nie erreichen. Es wird eben selbst bei den leistungsstärksten Büros nicht alle zehn Minuten ein Haus fertig.
Bis jetzt. Denn mit der Quadratbilderhalde Instagram scheinen die Architekten ein Zuhause in den sozialen Medien gefunden zu haben. Zwischen den durch alle bereitgestellten Fotofilter gepeitschten Standardmotiven (Kaffeeschaum von oben, Avocadotoast von halb rechts, Selfies im Spiegel, Selfies im Fitnessstudio, Selfies im Spiegel vom Fitnessstudio) sind Fotos von Bauwerken aller Art omnipräsent. Gerne auch garniert mit dem üblichen Hashtag-Stichwortgewitter am Ende jedes Beitrags: #building #awesome #wow.
Ob französisches Palais im Patina-Close-up oder nach oben im Smog verschwindender High-Tech-Tower in Dubai: Hoher Kontrast, simple Formen, fertig ist der "Wow"-Effekt beim Durchscrollen. Auch der Account @insta_repeat, der systemkritisch nahezu identische Instagram-Motive gruppiert, hat Architektur im Portfolio: Sehr populär sind etwa rote Holzhäuser vor dunkelgrünem Fjord.
Wer sich durch Architektur mit Wow-Content klicken will, kann entweder den aufstrebenden Stars wie Norman Foster folgen oder sich durch die Hashtags navigieren. 572.000 Fotos unter #instaarchitecture, 122.000 unter #instarchitecture, etwas mehr als zehn Millionen Fotos unter #archilovers, etwas weniger als zehn Millionen Fotos unter #architecturelovers.
Auch auf den wichtigen Events der Architekturwelt kommt man an Instagram nicht mehr vorbei: Auf der Biennale Venedig kann man schon am ersten Tag spekulieren, welche Pavillons und Installationen am meisten "instagrammable" sind. Kleiner Tipp: Wenn sich die Architektur als schicker Hintergrund fürs Selfie eignet, stehen die Chancen gut. Die Anzahl der Spiegelflächen wird jedenfalls bei jeder Biennale mehr. 142.000 Beiträge unter dem Hashtag #biennaledivenezia geben Zeugnis davon.
Was keineswegs heißt, dass alle Architekten blindlings auf Instagram stürmen. Doch welche von ihnen es tun und welche dabei erfolgreich sind, ist aufschlussreich. Paradebeispiel: der dänische Architektur-Strahlemann Bjarke Ingels. Neben den Bauten seines Büros BIG bietet der Account @bjarkeingels Einblick in den Alltag des gleichzeitig rastlos und relaxt wirkenden Architekturpopstars, der sich auf einer Art permanentem Urlaub zu befinden scheint. Mit dem Hundeschlitten durch Grönland, beim Burning-Man-Festival in Nevada oder auf griechischen Inseln, dabei einen Kometenschweif von "awesome"-Kommentaren seiner 458.000 Abonnenten hinter sich herziehend.
Die Architektur scheint ihm ganz selbstverständlich nebenher zu passieren. Passend zum Personenkult der sozialen Medien hat Ingels fast viermal so viele Follower wie @big_builds, der Account seines Büros. Die anderen aus der ersten Liga, Zaha Hadid (ZHA), Herzog & de Meuron, Snohetta oder OMA, liegen in etwa gleichauf. Dass man das Bilderportal auch anders nutzen kann als nur als erweitertes Projektportfolio, zeigt der britische Architekt David Adjaye. Sein Account @adjaye_visual_sketchbook ist, wie der Name schon andeutet, eben keine Sammlung seiner eigenen Bauten, sondern von Orten und Räumen, die ihm auffallen, eine Art architektonisches Skizzenbuch, nur eben mit der Handykamera statt mit dem Bleistift. Unter denen, die auf Instagram durch Abwesenheit auffallen, ist – wenig überraschend – der seit jeher dem Analogen und Physischen verpflichtete Schweizer Peter Zumthor.
Doch was macht nun genau Architektur "instagrammable"? Und vor allem, was macht der Wirtschaftsfaktor Instagram mit der Architektur? "Das Schaffen von Instagram-Momenten ist inzwischen ein Teil des Auftrags für Architekten geworden", berichtete die Londoner Architektin Farshid Moussavi. Selbstverständlich tätigte Moussavi ihren viel beachteten Kommentar nirgendwo anders als auf ihrem eigenen Instagram-Account @farshidmoussavi.
Die Tendenz ist klar. Dort, wo Architektur etwas mit zu verkaufen hat, sprich in Hotels, Restaurants und im Retailbereich, funktioniert Instagram als billiger Multiplikator. Inzwischen frage sie jeden Kunden, was der "Hook" sei, den er sich vorstelle, berichtete die Innenarchitektin Hannah Collins, die sich in San Francisco auf Restaurantinterieurs spezialisiert hat.
Für das kubanische Restaurant Media Noche waren das: auffälliger Fliesenboden, Tapeten in knalligen Farben, viel Tageslicht. Wer auf Instagram nachforscht, sieht: Der Plan ist aufgegangen. Dass die mediale Darstellung die Architektur beeinflusst, ist seit der Anfangszeit der Fotografie nichts Neues. Kassandrarufe, dass die räumliche Qualität zugunsten des Wow-Effekts beim zweidimensionalen Durchscrollen vor die Hunde geht, sind also verfrüht. Hört man sich unter österreichischen Architekten um, ist "instagrambar" noch kein Faktor beim Großauftrag, und auch in den hiesigen Profilen wird ganz konventionell vom Wettbewerbsgewinn, vom Spatenstich oder dem jährlichen Büroausflug berichtet. Aber wer weiß, vielleicht ist das erste aufblasbare Einhorn schon bestellt. #architektur #text #instagram #archilovers #architecturelovers #instaarchitecture #standard #album #wochenende #ende