Freundlicher Fight Club: Die Generation Solidarität

Österreichs junge Architekten sind gemeinsam stark. Einzelkämpfer sind Geschichte. Der Beweis dafür: ausgerechnet ein Format namens Fight Club

Die blutigen Gesichter von Edward Norton und Brad Pitt. Geheime Treffen im Keller, die in einen Kampf gegen die Langweile der Kommerzgesellschaft münden. Der Film Fight Club von David Fincher schien 1999 perfekt in eine nervöse Welt an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zu passen.

Zehn Jahre später wird in Wien ein Fight Club gegründet. Blut fließt keines in den Treffen des Fight Club in Wien. Es fliegen keine Fäuste, der gesellschaftliche Umsturz steht nicht auf der Tagesordnung. Es wird schlicht und einfach diskutiert. Eine lose Gruppe junger Architekten trifft sich an jedem letzten Freitag im Monat, um ihre Entwürfe und Pläne der schonungslosen Kritik der Kollegen auszusetzen.

Warum tut man so etwas? "Als wir begannen, uns selbstständig zu machen, waren wir zu dritt", erinnern sich die Urmitglieder Erwin Stättner und Robert Diem, die im Jahr 2009 das Büro Franz gründeten. "Unsere Partnerin war fast immer einer anderen Meinung als wir beide. Das war anstrengend, aber es hat uns weitergebracht. Als sie sich beruflich veränderte, hat uns das Korrektiv gefehlt. Also haben wir es woanders gesucht." Bald fanden sich Gleichgesinnte, man traf sich mal im einen, mal im anderen Büro, die Abende dauerten nicht selten bis fünf Uhr früh, eine rituelle Schnapsflasche auf dem Tisch.

"Die Grundregeln sind: Ehrliche, ungeschönte Meinungen. Keine Bauten, die schon fertig sind. Jeder bringt ein eigenes Projekt mit und teilt nicht nur aus", erklärt Stättner. Mit Erfolg: "Alleine das Erklären eines Projektes hat oft schon einen Denkprozess in Gang gesetzt. Man merkt selbst schnell, wenn was nicht stimmt." So konnte es kommen, dass aufgrund der Fight-Club-Kritik eine Wettbewerbsidee in letzter Minute umgeworfen wurde, nicht selten mit Erfolg: Im Wettbewerb zur Volksschule in Landeck war freigestellt, den Bestand zu sanieren oder einen Neubau zu planen. "Wir wollten eigentlich lieber abbrechen und neu bauen, aber nach intensiver Diskussion haben wir uns dann für die Sanierung entschieden und gewonnen," sagt Robert Diem.

Der Fight Club besteht bis heute, er feierte kürzlich sein zehnjähriges Bestehen. Das Kernteam blieb, manche Architekten kamen später dazu, manche waren nur sporadisch dabei. Allein die Nächte wurden kürzer, schließlich haben viele inzwischen Familie gegründet. Aufnahmeprüfungen gibt es keine. "Wie in jeder anderen Berufsgruppe merkt man auch bei den Architekten, wem es um Inhaltliches geht", sagt Architekt Juri Troy. "Unter diesen Kollegen tauscht man sich auch gerne aus – auch oder gerade wenn man nicht einer Meinung ist."

Was den Kampf im Titel trägt, ist nichts anderes als gelebte Solidarität. Das ist ein Zeichen eines Generationenwechsels in der österreichischen Architektenszene. Noch in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren das Bild und Selbstbild der Architekten geprägt vom Klischee des Einzelgenies: Hut, Schal, auffällige Brillenmode (Männer), Yamamoto-Gewand und auffällige Frisuren (Frauen). Dass hinter ihnen Büros mit Dutzenden und Hunderten von Mitarbeitern standen, die daran tüftelten, die schnell hingeworfenen Skizzen in Fundament und Tragwerk, in Stahl, Stein und Holz umzusetzen und die Ideen der Baupolizei zu erklären, wurde gerne verschwiegen. Architektur ist eine Mannschaftssportart. Niemand baut alleine ein Haus.

Pünktlich zur Jahrtausendwende mehrten sich die Zeichen, dass die Zeit der Genie-Architekten zu Ende ging. In Österreich war die nächste Generation am Start, genervt von der postmodernen Eitelkeit ihrer Vorgänger und Professoren. Sie traten als Teams auf, zu dritt, zu viert, zu fünft, und gaben sich lustige Namen. Manche nannten sie die Generation Boygroup (trotz des gestiegenen Frauenanteils). Das Architekturbüro wurde zur Popgruppe, in der jedes Mitglied seine Fähigkeiten einbrachte. Entwurf, Baustelle, Ausführungsplanung und Auftreten in der Öffentlichkeit als Äquivalente zu Komposition, Arrangement, Schlagzeug, Gesang. Die Gründung der IG Architektur im Jahr 2001 als Korrektiv der in administrativer Trägheit erstarrten Architektenkammer war das deutlichste Zeichen für diesen Wechsel. Der massiv angekurbelte Wohnbau, für den sich die alten Genies sowieso nie interessiert hatten, und eine oft fragwürdige Wettbewerbskultur verlangten andere Handlungsweisen.

20 Jahre später sind die Popgruppen etabliert und erfolgreich, während die Arbeit der Architekten noch schwieriger geworden ist. Sie haben sich mit Sparzwang, Übernormierung und überhitzter Baukonjunktur herumzuschlagen. Die Antwort der nächsten Architektengeneration ist: mehr Solidarität. Sichtbar wurde dies 2015, als die Stadt Wien beschloss, ihre Schulbauten künftig als Public-private-Partnership-Modelle (PPP) auszuschreiben. Die Architekten befürchteten, zu reinen Entwerfern degradiert zu werden, ohne Einfluss auf das gebaute Ergebnis. Eine Flut von Rundmails unter Fight-Club-Mitgliedern führte zu einer radikalen Aktion: Auf 51 der 84 abgegebenen Plakate im Wettbewerb für den Campus Berresgasse waren keine Pläne, sondern Protestslogans zu sehen: "Ich will nicht in die Investorenschule". Eine Solidarität, bei der der eigene wirtschaftliche Erfolg dem höheren Zweck geopfert wurde. Das war neu.

Gut vernetzt "In Zeiten von Kosten- und Termindruck, Honorardumping und Qualitätsverzicht ist Solidarität immer wichtiger", sagt Marion Gruber vom Büro PLOV. Heute hilft man sich nicht nur bei der Entwurfsidee, sondern vor allem in der Alltagspraxis. "Wir sind gut vernetzt, greifen schnell zum Handy, stellen Fragen und bekommen schnelle Antworten. Wir tauschen Detailpläne aus und unterstützen einander in vertraglichen Dingen", sagt Markus Bösch von YF Architekten. "Wir halten zusammen, wenn es darum geht, dass Wettbewerbe gut vorbereitet und fair ablaufen." Michael Aigner vom Büro Steinkogler Aigner konstatiert: "Dass sich Architekten treffen und Projekte offen und ehrlich diskutieren, ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Aber es zeichnet sich schon eine Entwicklung vom Architekten als Einzelkämpfer über Architekturkollektive hin zum Architektenschwarm ab."

Manche fanden sogar über den Kampf zur Liebe. Im Jahr 2017 fusionierten die Fight-Club-Mitgründer Franz und Sue Architekten zu Franz&Sue. In diesen Wochen beziehen sie gemeinsam mit anderen Architekten ihr eigenes Haus – das Quartiershaus "Stadtelefant" im Wiener Sonnwendviertel. Andere Städte folgen dem Beispiel: 2018 wurde NEXT Generation gegründet, eine Gruppe junger Architekten in Salzburg. "Die erste Regel des Fight Club: Ihr verliert kein Wort über den Fight Club", so das berühmteste Zitat aus dem Film. Hier gilt das Gegenteil: Man kann gar nicht genug Worte verlieren.

 

Erschienen in: 
Der Standard, 26./27.1.2019