Verloren im Mahlwerk von Normen und privaten Interessen: Der Umbau des Höchstädtplatzes im 20. Bezirk zeigt, wie in Wien mit öffentlichem Raum umgegangen wird. Warum hat eine so schöne Stadt so durchschnittliche Plätze? Liegt es daran, dass öffentlicher Raum hier vor allem als Arena des Verkehrs und seiner Teilnehmer gesehen wird?
Dreieinhalb Geschoße auf einem massiven schwarzen Betonwinkel, der ein dunkles L über die Straße zeichnet, um an ihrem anderen Ende forsch aufstampfend und fensterlos wieder zu Boden zu kommen. Die Erweiterung der Fachhochschule Technikum Wien im 20. Wiener Gemeindebezirk legt sich schrankenartig in elf Metern Höhe über den Höchstädtplatz und zeigt dem bisherigen Platzhirsch, dem Globus-Hochhaus aus den 50er-Jahren, wer jetzt das Sagen hat.
Der von den renommierten Architekten Neumann und Partner geplante Bau, der im kommenden Juni eröffnet wird, ist das Endstück der Neubebauung entlang der Dresdner Straße und trennt diese vom Platz dahinter.
Als still dämmernde, zerfaserte Gstätten, fristete der Höchstädtplatz früher ein Hinterhofdasein. Nichts Besonderes, nicht unbedingt schön, aber ein Raum mit Charme und Chancen. Dies blieb nicht unentdeckt. 1999 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt. Dessen Siegerentwurf von TU-Professor Erich Raith lasse den Platz, so die Jury, "eine Qualität gewinnen, die ihm bisher nicht zukommt."
Danach nahm das Wiener Platzschicksal seinen Lauf. Die Bebauung am Platzrand wurde vom Wiener Wirtschaftsförderungsfonds WWFF, entwickelt, der das Gebiet "Habitat 20" taufte, aber am öffentlichen Raum naturgemäß wenig Interesse zeigte.
Mit dem Ergebnis kann Stadtplaner Erich Raith heute durchaus leben. "Ich erkenne meinen Entwurf heute durchaus wieder. Ein Platz braucht eine gewisse Offenheit in der Nutzung - auch wenn man einige Details sicher besser machen könnte."
Doch in handfester Form zeigt der Platz sich heute als eingekeilter Restraum, geziert von verstreuten Normbankerln, überragt von einer architektonisch banalen Brücke aus gestapelten lukrativen Nutzflächen.
Kennzeichnend für viele öffentliche Räume in Wien ist: Sie ächzen und schwinden unter dem Gewicht der sie bedrängenden Partikularinteressen. Wenn noch dazu eine Armada an Magistratsabteilungen und Bezirksregierungen mitredet, werden Plätze leicht zum Sammelsurium gutgemeinter Regulierungen, mit einem Potpourri an Nutzgerümpel bunt durcheinander möbliert: gebaute Verwaltungskompromisse statt Räume mit Identität.
Nicht wenige starteten mit ambitionierten Ideen, die nach Durchlaufen des magistratischen Mahlwerks kaum mehr zu erkennen sind, wie etwa Boris Podreccas ursprünglich leichte Stahlkonstruktion am Praterstern, die heute eher an ein dickes Gewurl weicher Spaghetti nach halbstündiger Kochzeit erinnert.
Ähnliche Verplumpungseffekte widerfuhren dem Umbauentwurf des Schwarzenbergplatzes, dessen verschwundenen Blumenrabatten, die auf unzugänglichen Verkehrsinseln verloren dahinvegetierten, die " Betonwüste!"-Rufer heute nostalgisch verklärende Tränen nachweinen.
Warum hat eine so schöne Stadt so durchschnittliche Plätze? Liegt es daran, dass öffentlicher Raum hier vor allem als Arena des Verkehrs und seiner Teilnehmer gesehen wird? Oder daran, dass Freiraum in dieser dichtbebauten Stadt ein knappes Gut ist, das sich schnell in Übernutzung verschleißt?
Drei bis fünf Quadratmeter Park-, Spiel- und Freifläche sollen laut Wiener Stadtentwicklungsplan jedem Bewohner zustehen. Was Kinder und Jugendliche dort tun wollen sollen, regelt eine Ö-Norm, vom Skaten bis zum Rollhockey. Von Eltern, Pensionisten, Mittagspausenjausnern und allen anderen ganz zu schweigen. Ein bissl grün soll es verständlicherweise auch sein.
Ein Platz ist aber nun mal kein Park. Die berühmtesten unter ihnen, vom Campo in Siena bis zur Place Vendôme, haben - ebenso wie zahllose unberühmte - nicht ein einziges Bäumchen vorzuweisen, was ihnen erstaunlicherweise selten vorgeworfen wird. Sie sind Orte mit Charakter.
Dass dieser nicht über Jahrhunderte reifen muss, sondern auch aus dem Nichts herstellbar ist, zeigt das vielgerühmte Beispiel Barcelona. In der dichtbebauten katalanischen Metropole erfuhr der öffentliche Raum, in den Franco-Jahren zwischen Überwachung und Vernachlässigung zu leblosen Zonen verkommen, in den 1990er-Jahren einen Aufschwung ohnegleichen.
Im Stadterneuerungsrausch der Olympischen Spiele wurden enorme Summen in Plätze, Parks und Promenaden investiert. Binnen weniger Jahre entstand eine Fülle eindrucksvoller Räume, mal rau und leer, mal spielerisch und bunt, jeder mit unverwechselbarem Charakter. Seitdem wird das "Barcelona Model" weltweit emsig kopiert.
Das Erfolgsgeheimnis, erläuterte Stadtarchitekt Oriol Clos 2011 rückblickend, sei, kleine interdisziplinäre Teams unter einem Dach zu haben, die klare Entscheidungen treffen, mit der Maxime, Plätze zu schaffen, die als unzerfasertes Ganzes von allen Bürgern geteilt werden. Gestalterisch galt: lieber weniger, dafür besser, als vieles und mittelmäßig. Man kann Plätze auch leer lassen, ohne immer allen vorauseilend gerecht zu werden.
In Wien scheint man das Problem durchaus erkannt zu haben: 2007 begann die Stadt mit der Erstellung eines Leitbilds für den öffentlichen Raum, das nun auch angewendet werden soll. Man wird sehen, ob dies zu mehr Klarheit im Wollen und Wirken führt oder nur zu einer weiteren Stimme im Entscheidungsgewirr.
Mit ähnlichem Hoffen und Bangen wird man die Bürgerbeteiligung beim ewigen Sorgenkind Schwedenplatz beobachten. 2206 Bürger haben Vorschläge bezüglich Grünflächen, Sitzgelegenheiten und Querungsmöglichkeiten eingebracht. Über die Frage, ob ein Sammelsurium aus dem Best-of-Bürgerwünsche schon einen Platz macht, lagen sich vorige Woche Bezirkschefin Ursula Stenzel und Planungsstadträtin Maria Vassilakou in den Haaren. Bis Ende Mai soll aus der Wunschliste ein Leitbild destilliert werden. Ob dieses auch den zukünftigen Interessen, die auf den Platz einstürzen werden, widerstehen kann? Klar ist: Der Schraubstock, in den der Freiraum für alle gezwängt ist, wird nicht lockerlassen.
(erschienen in: Der Standard, 2./3.2.2013)