Frank Lloyd Wright: Der Pate

91 Lebensjahre, zwei Jahrhunderte, 532 realisierte Bauten, ruhmreiche Höhen und tragische Katastrophen. Vergangene Woche jährte sich der Geburtstag des "größten Architekten aller Zeiten" zum 150. Mal. Großartig, dass er gleich mehrere Architekten-Archetypen in sich vereinigte. Hier sind fünf davon.

Der Superstar

Frank Lloyd Wrights ehrgeizige Mutter Anna plante für ihren Sohn eine Architektenkarriere, und er sollte sie nicht enttäuschen. Seine Selbstinszenierung begann schon mit dem Vordatieren seines Geburtsjahres, um sich jünger zu machen, später warf er sich regelmäßig für Fotografen in Heldenpose. An der Unfehlbarkeit seines Urteils über Architektur bestand für eine Person niemals ein Zweifel, und zwar für ihn selbst. Noch mehr Indizien? Zum Beispiel seine Liebe zu schnellen Autos, die schon 1910 mit dem Kauf eines rasanten gelben Stoddard-Dayton begann, mit dem er seine Nachbarn terrorisierte und seine Geliebte chauffierte. Man liegt also sicher nicht falsch, wenn man Wright als Blaupause sowohl für die realen Stars des späten 20. Jahrhunderts als auch für die zahlreichen Architektenklischees, die dem Beruf oft zu Unrecht attestiert werden, ansieht. Sollen wir ihm dafür böse sein? Er war nun mal tatsächlich ein Genie, und schien für Ruhm prädestiniert: "Niemand hätte sich getraut, Wrights Leben zu erfinden. Es hätte schlicht zu melodramatisch geklungen", urteilte die Architekturkritikerin und Wright-Biografin Ada Louise Huxtable.

Der diebische Erfinder

Kulturelle Aneignung ist eines der heutigen Minenfelder politischer Korrektheit. Federschmuck und Rastalocken gelten vielen als No-Go. Andererseits haben sich Kulturen schon immer aneinander bedient. Frank Lloyd Wright liefert Anschauungsbeispiele für die Gratwanderung zwischen Diebstahl, Synthese und Neuerfindung. Auf der Suche nach einer eindeutig amerikanischen Architektur für eine damals noch junge Nation wurde er auch bei der indianischen Kultur fündig, auch wenn er, wie der Kritiker der New York Times schreibt, "kein Tipi von einem Langhaus unterscheiden konnte". Ebenso ergiebig erwies sich seine Faszination für Japan. Seine Sammlung japanischer Drucke umfasste bei seinem Tod rund 6000 Stück, und auch japanische Konstruktionsmethoden und Raumgefüge fanden Eingang in seine Bauten. Mit seinem 1923 fertiggestellten Imperial Hotel gelang Wright so etwas wie ein gebauter transpazifischer Clash der Kulturen: Mitten in Tokio gelegen, erinnert es eher an archaische Maya-Architektur. Wright war jedoch nie reiner Kopist. Die Usonian Houses als amerikanische Einfamilienhaus-Prototypen, das archaisch-moderne Textil-Block-Bausystem, die atemberaubend nadeldünnen Stützen seines Johnson-Wax-Firmengebäudes sind Beispiele für seinen alchemischen Erfindungsgeist, der in Zeiten, in denen manche Architekten das Selbstplagiat zum Wiedererkennungswert oder gar zur Gesamtphilosophie aufblasen, um so mehr beeindruckt.

Der Organiker

Er war kein Freund der Großstadt, die Skyline von New York war ihm verhasst. Im Herzen blieb er der grünen Weite von Wisconsin und der Prärie des Mittleren Westens verhaftet. "Studiert die Natur, sie wird euch nie im Stich lassen!", riet er seinen Schülern. Seine Prairie Houses sind ein Fest der endlosen Ebene, sein Meisterwerk Fallingwater kreuzt horizontale Brüstungen mit der dramatischen Vertikalität des Wasserfalls, und auch das Guggenheim New York ist im Grunde ein um eine Leere gewickeltes Band, das sich in die Höhe schraubt. Noch im hohen Alter publizierte Wright ein Manifest, in dem er der Senkrechten Schwindelanfälle attestierte, was ihn nicht daran hinderte, wenige Jahre später den höchsten Wolkenkratzer aller Zeiten zu entwerfen: Der 528-geschoßige Mile High Tower in Chicago blieb jedoch ein schöner, seltsamer und ungebauter Sonderfall in seinem OEuvre. Heutzutage strebt man mehr als zuvor in die Höhe, dünne Skyscraper in Manhattan konkurrieren mit gläsernen Gurken in London und verspielten Wolkenkratzer-Sperenzchen am Persischen Golf, die phallische Verewigung in bemüht originell benannten Towers scheint als Eintrittskarte in die architektonische Top-Liga zu gelten. Eine Dosis Wright'scher horizontaler Eleganz würde der Welt guttun.

Das Stehaufmännchen

Die Katastrophen seiner Biografie sind Stoff für mehrere Tragödien: In seinem Traumanwesen Taliesin in Wisconsin, das er für sich und seine Geliebte Martha Borthwick baute, kam es 1914 zur Katastrophe, als sein Koch sieben Menschen, darunter Martha und ihre Kinder, tötete und das Haus anzündete. Wright baute ein neues Taliesin, das 1925 ebenfalls abbrannte, nachdem er es aufgrund eines Bankrotts 1922 kurzzeitig verloren hatte. Die dritte Inkarnation steht bis heute, ebenso wie die Zweitresidenz Taliesin West in Arizona. Tiefe Tiefen und hohe Höhen, an denen er selbst nicht immer ganz schuldlos war. Dennoch beeindruckt die Energie, mit der er sich und seine Architektur immer neu erfand, im Zuge eines Lebens, das zwei Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg begann und zwei Jahre nach dem Sputnik-Flug endete. In der dramatischen Verdichtung bleiben solche Schicksalsschläge einzigartig, aber drohende Bankrotte und Bauprojekte, die mit einem Fluch belegt zu sein scheinen, plagen die Architekten auch heute noch. Stehaufmännchen- und Stehaufweibchen-Qualitäten sind Teil des Berufsbilds.

Der Vergessene

"Sind Sie vielleicht Architekt? So wie Frank Lloyd Wright?", fragte die Kandidatin mit verbundenen Augen, als der greise Maestro 1956 in einer Was bin ich?-Rateshow im Fernsehen auftrat. Noch heute ist seine Person für viele Amerikaner synonym mit dem Beruf. Sein Ruhm scheint nie zu verblassen. Das American Institute of Architects zeichnete ihn 1991 als "größten amerikanischen Architekten aller Zeiten" aus. Das New Yorker Moma widmet ihm jetzt zum 150. Geburtstag schon die vierte Soloausstellung. Trotzdem wird Wright außerhalb der USA heute von Architekten und Laien nur selten erwähnt. Seine Nachfolger Le Corbusier und Mies van der Rohe überstrahlen ihn als Ikonen des 20. Jahrhunderts bei weitem. Vielleicht liegt es daran, dass er, wie sein Kollege Philip Johnson mit elegant verpacktem Spott anmerkte, doch nur "der größte Architekt des 19. Jahrhunderts" war. Vielleicht wartet der berühmteste Architekt der Welt, wie viele seiner weniger berühmten Kollegen, aber auch nur auf die richtige Wiederentdeckung.

 

Erschienen in: 
Der Standard, 17./18.6.2017