Forschen an der Leichtigkeit

Für die Ausstellung "Splined Spheres" in Innsbruck loteten zwei junge Frauen das bauliche Potenzial von Schlauch und Pneu aus

In der von immer perfekteren Bilderfluten dominierten Architekturwelt scheint es oft so, dass zwischen täuschend realem Computerrendering und blitzblank fotografiertem Resultat kaum ein Unterschied besteht. Nicht einmal bei so gewagten Konstruktionen wie den gerne in ehrfürchtigem Staunen als "schwebend"  bezeichneten dynamischen Formen von Hadid, Gehry, Prix oder Delugan Meissl. Schwebend wird es angekündigt, schweben tut's am Ende. Überwältigung geglückt.

Es lohnt sich jedoch, zwischen diesen Zuständen der Schwerelosigkeit die Baustellen unter die Lupe zu nehmen: Enorme Massen an ganz und gar unfuturistischen Materialien werden dort zusammengetragen, um die luftigen Raumideen möglich zu machen: Akrobatisch gezimmerte Schalungen bringen den schweren Beton in die gewünscht gekrümmte Form, ganze Jahresrationen an Stahl müssen die enormen Kräfte bändigen. Die Technik des Eiffelturms für das Gedankengebäude aus dem Computer. Vielleicht wird man diese Bauten dereinst als Zeichen einer Übergangszeit einordnen, in der die räumlichen Ideen des 21. Jahrhunderts noch mit dem plumpen Handwerkszeug des 19. und frühen 20. Jahrhunderts operierten.

Leichtigkeit gesucht

Dabei war man schon einmal weiter: In der Leichtigkeit des Münchner Olympiadaches von Frei Otto etwa, das aus technischer Intelligenz – und das noch ohne Computerhilfe – eine kons­truktive Schönheit erschuf. An Frei Ottos Werk wurde zuletzt unter dem Titel "Form follows ­Nature" am aut (Architektur und Tirol) in Innsbruck erinnert.

Die vorige Woche am selben Ort eröffnete Ausstellung "Splined Spheres" zeigt, dass auch heute in der Architektur wieder in Richtung Leichtigkeit geforscht wird. Sie bringt zwei junge Frauen zusammen, die im Dienste der Materialökonomie unterwegs sind: Ursula Klein und Valentine Troi. Ausgerechnet am Lehrstuhl von Zaha Hadids Büropartner Patrik Schumacher an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck hat die Südtiroler Architektin Valentine Troi 2008 ihre empirische Forschung begonnen. Ihr Ziel: die am Computer so verführerisch leicht entstehenden Kurven ohne tonnenschweren Aufwand in die Realität zu transportieren.

"Computer können heute enorm viel, aber die bauliche Umsetzung gerät immer öfter zum ­Finanzdesaster. Uns wurde klar, dass man Ideen materialauthentischer realisieren muss. Das heißt: nicht mit Massen von Stahl und Beton, sondern mit weichen Materialien", erklärt Valentine Troi.

Riesenbubble mit Mambas

Die Lösung fand sich in Faserverbundstoffen: Schläuchen aus faserverstärktem Kunststoff, die gebogen und mit Harz in die vom Computer gewünschte Kurvenform hineingehärtet werden. Nachdem Troi mit ihren Studenten als ersten Prototyp eine Bar gebaut hatte, die alle Kräfte von Statik und Schwerkraft mühelos in sich aufnahm, flossen die ersten Fördergelder. Es wurde geforscht,  produziert, patentiert. 2011 kam es zur Firmengründung von superTEX Composites, heute ist Valentine Troi Unternehmerin.

Ursula Klein ist dies schon längst: Sie führt in dritter Generation das 1952 gegründete Wiener Unternehmen schulteswien, das sich auf die Herstellung von noch Leichterem spezialisiert: der Luft selbst, in Form von aufblasbaren Pneus. Gemeinsam tüftelten die beiden in einem Workshop an möglichen Synthesen aus Schlauch und Blase.

Das Resultat: Eine hauchdünne Riesenbubble steckt nun im kreisrunden Loch im Boden des aut, einer ehemaligen Brauerei. Von oben wird sie umschlungen von bis zu 17 Meter langen dicken Schlingen, wie ein Tanz schwarzer Mambas auf einer Seifenblase. Mag die Blase auch praktisch nichts wiegen, dient sie doch als formgebende Schalung für die Splines. So entstehen Raum, Festigkeit und Konstruktion – Architektur mit Minimalgewicht.

Wagnis Werkstatt

Die weiteren Resultate des Workshops strahlen zwar den leicht spröden Charakter zwischen Kunstinstallation und Industriefachmesse aus, doch genau das ist ihre Bestimmung: Es sind Prototypen. Und es ist auch eine Erleichterung, einmal aufregende Ideen in ihrem Anfangsstadium beobachten zu können anstatt Hochglanzbilder fertiger Bauten.

"Wir wollten mit der Ausstellung absichtlich in Richtung Werkstatt und Experiment gehen", sagt aut-Leiter Arno Ritter.  "Es war ein richtiges Wagnis, denn es war vorher nichts simulierbar."  Fast schelmisch freut er sich über die Kombination der beiden Raumproduzentinnen: "Ursula Klein setzt in ihrem Betrieb Aufträge von Kunden um, Valentine Troi kommt vom Gestalten. Jetzt spannen sie ihre Kreativkräfte zusammen und machen ihre Potenziale sichtbar."

Der Schlauch der Weisen

Diese Potenziale haben auch längst andere Akteure entdeckt, die mit Kunstinstallationen eher wenig am Hut haben: "Für unsere Splines interessieren sich Branchen, in denen es wichtig ist, Gewicht einzusparen – die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrt und die Medizin", berichtet Valentine Troi. "Sie hat einfach den Schlauch der Weisen gefunden!", beschreibt es Arno Ritter in euphorischen Worten.

Die eher innovationslahme Baubranche dagegen hat bislang noch wenig Interesse signalisiert. Vielleicht, weil der fugenlose Übergang von der Architektur über empirische Forschung in die Produktion hierzulande – anders als in den USA – eine noch ungewohnte Erfolgsgeschichte ist.

"Die Forschungskultur an den Architekturhochschulen ist sicher noch unterentwickelt", konstatiert Valentine Troi. Dabei wären die Fördermittel vorhanden, überhaupt sei ihr der Übergang vom Seminarraum zum Start-up nicht besonders schwer gefallen.

Ausstellungspartnerin Ursula Klein sieht das Thema Innovation gelassener: "Valentine hat ein eigenes Material erschaffen, ich arbeite seit meinem zwölften Lebensjahr mit meiner Schweißmaschine an meinen Pneus."  Doch wer weiß, ob die Zukunft des Bauens nicht im Kleinen und Leichten liegt.

 

Ausstellung

Ursula Klein, Valentine Troi: "Splined Spheres". aut.Architektur und Tirol, Innsbruck (bis 15. Juni).

Erschienen in: 
Der Standard, 27./28.4.2013