Baukunst mit Bonus: Das “Haus mit Veranden” von Rüdiger Lainer zeigt, wie viel Freiraum sich aus einem städtischen Block herausholen lässt.
“Alle Kunst ist völlig nutzlos”, so lautet einer der griffigen Aphorismen Oscar Wildes, und er hat ja auch recht: Zum Überleben braucht man sie nicht. In der Architektur ist die Trennung, um so mehr wenn es ums Wohnen geht, nicht ganz so einfach. Was früher Baukunst war, ist heute geteilt in Bau und Kunst am Bau. Unter dem Diktat der Kosten-Nutzen-Rechnung gilt das, was über das Minimum von Zimmer/Küche/Bad/Balkon hinausgeht, bestenfalls als “nice to have”, schlechtenfalls als “Wos brauch ma des”. Dabei geht es gerade beim Wohnbau, das wissen wir nicht erst seit IKEA, ums Leben.
Reine Kunst scheinen auf den allerersten Blick auch die wilden Formen des 2008 fertiggestellten Wohnbaus in der Buchengasse in Wien-Favoriten zu sein. Wo rundum kantige Blockbebauung herrscht, knicken, türmen und falten sich hier Baukörper umeinander, und weit auskragende Veranden schießen aus ihren Zimmer-Küche-Bädern heraus wie Triebe im Frühling. Knallbunt ist es obendrein. Wozu also braucht man das?
“Der Begriff Baukunst ist ein polemischer Irrtum”, urteilt Architekt Rüdiger Lainer kurz und bündig. “Die Formen hier ergeben sich logisch aus dem Konzept, dass alle Wohnungen, auch die der Anrainer, ausreichend Sonne und Ausblick bekommen. Der 10.Bezirk ist geprägt von engen Innenhöfen und hohen Fronten zur Straße ohne jegliche Weite. Daher haben wir den Bau von der Straße zurückgesetzt, verformt und geknickt. Das hat eine soziale Dimension. Mit einem Gestus à la “Ich bin der Künstler” hat das nichts zu tun.”
Für alle dasselbe Licht, für alle mindestens 8 Quadratmeter privaten Freiraum. Und trotzdem gleicht kaum eine der 254 Wohnungen der anderen. Besonders vertrackt: Bei dieser Dichte jedem das ausreichende Maß an Privatheit zu verschaffen. Dies gelang sogar für die niedrigen Patiowohnungen zu Fuß der bis zu 11-geschossigen Riegel. Und die Buntheit soll schlicht und einfach etwas Freundlichkeit in die graubraune Favoritner Fassadenwelt bringen.
Auch beim Bauträger Heimbau kam das Konzept gut an: “Ich halte es für ein sehr innovatives und gelungenes Projekt, eine optimale Bebauung für diesen Ort. Trotz dieser Dichte hat es eine erstaunliche Lockerheit”, freut sich Geschäftsführer Peter Roithner. “Die Baukunst besteht hier in der Anordnung der Baukörper, es ist ein Gesamtkunstwerk. Vor allem die Veranden sind gut nutzbar und werden gut angenommen.”
Trotz der Komplexität waren die Baukosten mit 1540 €/m2 relativ günstig. Drei Jahre nach der Fertigstellung liegt die Fluktuation der Mieter im normalen Bereich. “Es gibt auch konkrete Nachfragen speziell für diese Wohnungen, viele davon aus dem 10.Bezirk”, sagt Peter Roithner. Das Risiko, mehr als das Minimum zu wollen, hat sich hier also gelohnt.
(erschienen in: DER STANDARD, Beilage "Wohnen", 27.10.2011)