Es gemeinsam tun: Atelierbesuch bei Assemble

Die erste Ausstellung im Wiener Architekturzentrum unter Angelika Fitz ist dem Kollektiv Assemble gewidmet. Wie gelingt es, der Architektur mit kollaborativem Geist neues Leben einzuhauchen? Ein Werkstattbesuch in London

Bermondsey, Südostlondon, ein Stück flussabwärts von der Tower Bridge: fast dörfliche Straßen mit niedrigen Reihenhäusern, dazwischen Industrieareale. Die Straßen sind fast leer, die Stille des Montagnachmittags scheint ein Warten auf etwas zu suggerieren. Wie viele Viertel der schnell wachsenden Metropole lauern auch hier Developer auf den großen Reibach mit lukrativen Bodenpreisen. Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm, noch gibt es Nischen und Lücken. Zum Beispiel diese: ein ehemaliges Schulgebäude in einer Nebenstraße, eine Tür in der fensterlosen Fassade, ein dunkles Stiegenhaus, eine weitere Tür, kein Namensschild. Dahinter Werkstattgeräusche, Hämmern und Sägen, in der Küche hängt ein Zettel mit der Bitte, keinen Ton, Lösungsmittel oder Farbe ins Waschbecken zu schütten. Auf einem Fenstersims lehnt ein kleines Schild, darauf in Großbuchstaben das Wort ASSEMBLE.

Was hier so improvisiert, fast studentisch wirkt, ist die Hauptzentrale eines der erstaunlichsten Architekturphänomene der letzten Jahre. Nicht nur, weil Assemble 2015 überraschend den Turner Prize, die höchste britische Kunstauszeichnung, verliehen bekamen. Nicht nur, weil sie als 15-köpfiges Kollektiv ohne Hierarchien operieren und manche Teammitglieder gar keine Architekten sind. Sondern auch, weil sie in Zeiten, in denen Architekten vor lauter Normen, Vorschriften und einer mit Anwaltsarmaden zum Claim-Management-Monster aufgerüsteten Bauindustrie nur noch Randfiguren zu sein scheinen, eine unbekümmerte Direktheit des Machens an den Tag legen. Ihr erstes Projekt starteten sie, als manche von ihnen noch studierten und andere in diversen Büros arbeiteten, gearbeitet wurde abends und am Wochenende, zu Hause oder in Cafés. Das Ergebnis hieß "Cineroleum", ein temporäres Kino in einer ehemaligen Tankstelle, eingehüllt in einen glamourösen Metallvorhang, der nach Ende der Vorstellung den Blick auf die Stadt freigab.

Assemble, das heißt: zusammenstellen, versammeln, und der Name ist Programm. Das Kollektiv teilt sich die Räume mit einer Zimmermannswerkstatt und einem Keramikatelier ("unsere Familie"). Mit beiden arbeiten sie immer wieder zusammen. Fragt man die jungen Teammitglieder, alle um die 30, was die Essenz ihres Tuns ausmacht, fällt oft der Begriff "involve". Das deutsche Äquivalent "einbeziehen" klingt zu sozialpädagogisch-spröde, um die Dimension des Gemeinsamen widerzuspiegeln, um die es hier geht. Oft ist das Ziel weniger die Herstellung eines Bauwerks als das Anstoßen eines Prozesses. So geschehen beim Granby Workshop in Liverpool, bei dem gemeinsam mit den Bewohnern einem heruntergekommenen Stadtviertel neues Leben implantiert wurde, oder beim Blackhorse Workshop in London, einer offenen Werkstatt für alle, die werken wollen.

Werkstattcharme strahlt auch das Assemble-Büro aus, Designermöbel sucht man vergebens. Alles ist temporär und in Bewegung, Besprechungen finden im Abstellraum statt, zwischen Monitoren und halbfertigen Modellen lehnt eine handbeschriebene Tafel mit dem Wochenplan für den Essensdienst, mittendrin eine Plüschgiraffe, Maßstab ungefähr 1:10, ein Geschenk vom Büro Richard Rogers zur fünften Geburtstagsparty des Büros. "Es ist lustig, dass wir immer wieder als radikal bezeichnet werden", sagt Maria Lisogorskaya, ein Fünfzehntel-Assemble. "So sehen wir uns überhaupt nicht. Wir lieben das Neue, die Herausforderung und scheuen uns nicht zu sagen: So etwas haben wir noch nicht gemacht, das können wir noch nicht, also versuchen wir, es zu lernen." Wie arbeitet man eigentlich als 15-köpfiges Kollektiv? Tatsächlich werden alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam getroffen, aber man ist zielorientiert genug, um basisdemokratische Endlosdiskussionen nach Art maoistischer Splittergruppen der 70er-Jahre zu vermeiden. "Es ist nicht so, dass wir alles anders machen wollen", sagt Maria Lisogorskaya. "Wir arbeiten so, wie es für uns passt, das kann manchmal auch ganz konventionell sein."

So konventionell, dass sie in heutigen durchdigitalisierten Zeiten dann doch fast radikal wirkt, ist die Vorliebe von Assemble für das handfeste Arbeiten mit dem Material. Die Ergebnisse dieses Do-it-yourself sind in ihrer Eleganz und Präzision weit entfernt vom harmlosen Bastellook. Die vielfarbigen Fliesen, mit denen das Yardhouse, ein Werkstattgebäude im vorigen Assemble-Domizil im Londoner Osten, verkleidet wurde, wurden gar zur Instagram-Pilgerstätte, auch wenn die Architekten das heute noch selbst verblüfft: "Das Yardhouse wurde längst abgebaut, aber immer noch tauchen hier Leute auf, die die bunte Fliesenfassade suchen, weil sie dort Selfies machen wollen", lacht Maria Lisogorskaya.

Die Arbeit mit handfesten Baustoffen haben Assemble jetzt auch nach Österreich gebracht. Ihrer einjährigen Gastprofessur an der TU Wien gaben sie den Titel "Wie wir bauen" – ein "Wir", in dem sich jeder mitgemeint fühlen darf. Gemeinsam mit den Studenten wurde der traditionellen Baustoff-DNA Wiens auf den Grund gegangen: Ziegelstein und Lehm. Anschauen lässt sich das Forschungsergebnis demnächst im Hof des Museumsquartiers, wo zurzeit aus ebendiesen Materialien ein gemeinsamer Selbstbau-Pavillon entsteht. "Wenn man eine Stadt verändern will, ist es wichtig, zuerst zu verstehen, woraus sie besteht", erklärt Maria Lisogorskaya, die gemeinsam mit ihrem Assemble-Kollegen Lewis Jones die Gastprofessur leitete. Handfest nachvollziehen lässt sich diese Arbeitsweise ab 1. Juni im Architekturzentrum Wien, wenn die – ebenfalls Wie wir bauen betitelte – große Assemble-Ausstellung eröffnet wird.

Es ist die erste unter der Leitung von Angelika Fitz, seit Jänner dieses Jahres Direktorin am Az W. Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf Assemble? "Sie zeigen auf vielfältige Weise, was Architektur heute leisten kann", so Angelika Fitz zum STANDARD. "Bei ihren Bauten sind viele Personen und Gruppen beteiligt, aber die Ergebnisse sind kein Mittelmaß, sondern sehr präzise. Die Anwesenheit von Architekten macht eben sehr wohl einen Unterschied, und diese Handlungsfähigkeit ist gerade heute sehr ermutigend. Gleichzeitig denken Assemble sehr genau über die ökonomischen Strukturen nach, in denen sie arbeiten." Damit die Ausstellungsbesucher diese so unmittelbare wie überlegte Freude am Herstellen von Dingen und Räumen erleben können, wird reichlich Anschauungsmaterial geboten: der glamouröse Vorhang des Cineroleum-Kinos und ein Teil der originalen Fliesenfassade des Yardhouse. Letzte Gelegenheit für ein Instagram-Selfie vor pastellgrau schimmerndem Hintergrund.

Eine große Werkschau für ein so junges Büro, da fragt man sich, wie lange das Kollektiv seine Unbekümmertheit erhalten kann. Schon jetzt gibt es Projekte in den USA und Japan. Was, wenn der erste Großauftrag ins Haus steht? "Wir werden uns sicher verändern, aber das lassen wir auf uns zukommen", sagt Maria Lisogorskaya. Den unmittelbaren Zugang zur Architektur will man auf jeden Fall beibehalten. Und sei es nur auaus dem einen Grund: "Das macht uns am meisten Spaß."

 

Erschienen in: 
Der Standard, 27./28.5.2017