Ein Land auf der Roten Liste

Das Kulturzentrum Mattersburg, eine Ikone des Brutalismus, ist Geschichte. Warum tut sich das Bundesland mit der Baukultur so schwer?

Alle Hilferufe und Appelle haben nichts geholfen: Letzte Woche begannen die Bohrer, sich in den dicken Stahlbeton des Kulturzentrums (KUZ) Matter1burg zu fräsen. Bis auf ein kleines Stück Fassade wird der im Mai 1976 eröffnete Bau des Architekten Herwig Udo Graf Geschichte sein, und mit ihm ein Zeugnis der burgenländischen Kultur- und Bildungsoffensive der Nachkriegszeit.

Seit 2014 stand der Bau leer, unter nicht gänzlich transparenten Umständen wurde von der BELIG (Beteiligungs- und Liegenschafts GmbH), die die landeseigenen Immobilien verwaltet, und vom damaligen Kulturlandesrat Helmut Bieler (SPÖ) auf Neubau anstatt Sanierung entschieden. Eine engagierte Plattform wurde gegründet, die sich für den Erhalt aussprach.

Nationale und internationale Experten setzten sich für den Erhalt des wuchtigen Ensembles ein. Im November 2016 verordnete der Bescheid des Bundesdenkmalamts eine Teilunterschutzstellung der Nordfassade. Warum ausgerechnet eine dünne Fassade geschützt wurde, wo doch das zugrundeliegende Gutachten die für den Brutalismus typischen skulpturalen Gesamtqualitäten explizit gewürdigt hatte, blieb offen. "Den Mauerzug eines Bauwerks als potemkinsches ‚Denkmal‘ stehen zu lassen hat sich schon in den 1970er- und 1980er-Jahren als fachliches No-Go erwiesen, ist sachlich verpönt und nicht State of the Art", so die fachliche Stellungnahme von Docomomo Austria.

Es folgten zahlreiche Schreiben der Plattform, der Initiative Bauten in Not und von Privatpersonen an den Bieler-Nachfolger und heutigen Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil, die alle unbeantwortet blieben. Noch im Mai 2019 wandte sich der 79-jährige KUZ-Architekt Herwig Udo Graf mit Alternativvorschlägen an Doskozil, vergeblich. Jetzt könne man den Bau auch gleich ganz wegreißen, anstatt ein "Feigenblatt" stehen zu lassen, urteilte er resigniert.

Es ist nicht das einzige seiner Werke, von dem er sich verabschieden musste. 2018 wurde sein Kindergarten in Mattersburg zum Abbruch freigegeben, eine missglückte Feuerwehrübung am 22. September ließ den leerstehenden Bau in Flammen aufgehen. Sein Seerestaurant Breitenbrunn, eine einfache, rustikal-elegante, in die Schilflandschaft gesetzte Holzkonstruktion, quasi ein Dach als Haus, wurde von den Eigentümern Esterhazy Immobilien aufgrund angeblicher Einsturzgefährdung im Frühjahr 2019 abgebrochen.

Ein Gegengutachten der Gemeinde und die Tatsache, dass kaum eine Geometrie einsturzsicherer ist als ein auf dem Boden stehendes Dreieck, änderten nichts daran. Baufällig, sanierungsanfällig, thermisch unzureichend: Das sind die Standardargumente, mit denen den Bauten der 1970er-Jahre gerne zu Leibe gerückt wird. Argumente, die oberflächlich besehen glaubwürdig wirken und daher selten genaueres Nachfragen zeitigen.

Die Zukunft des Krankenhauses in Oberwart, 1976-82 von Matthias Szauer und Gottfried Fickl erbaut, mit seiner Kombination aus Sichtbeton und zeittypisch poppigen grün-orangenen Leitfarben, ist offen. Mit dem Neubau unmittelbar daneben soll nach jahrelangem Hin und Her 2020 begonnen werden. Für den Altbau sieht es düster aus.

So auch beim Hallenbad Neusiedl am See (Architekten Rüdiger Stelzer und Walter Hutter, 1977), das die Zeit fast unbeschadet überstanden hat. Dieses befand ein Gutachten des BDA im September 2018 als schutzwürdig, ein Bescheid ging Anfang Juli an die Gemeinde. Diese hat aber kein Interesse an dem Schutz und erhob einstimmig Einspruch. Man befürchtet Mehrkosten bei der Sanierung und stellte infrage, ob der Brutalismus ein schützenswerter Baustil sei. Gesunder Menschenverstand gegen Expertise.

Die Baukultur eines Landes hat viele Maßeinheiten. Eine ist der Respekt vor Experten (die natürlich kritisiert werden dürfen). Die Transparenz ist eine weitere. Ein Architekturwettbewerb wie der für das KUZ Mattersburg, dem die Architektenkammer die Unterstützung verweigerte und dessen Ergebnisse weder öffentlich ausgestellt noch bekanntgemacht wurden, stellt dem Burgenland auch hier kein gutes Zeugnis aus. Man wolle die Diskussion nicht noch weiter befeuern, hieß es damals.

Drittens: Baukultur ist eine politische Kultur. Im Burgenland scheint vonseiten der Politik eine Haltung vorzuherrschen, die man als "offensives Desinteresse" bezeichnen könnte. Ende April lud die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) in Eisenstadt Experten zur (vom ORF aufgezeichneten) Podiumsdiskussion "Anlassfall Nachkriegsmoderne". Also vor der Haustür der Landesregierung, die es trotz Einladung nicht für nötig befand, einen Vertreter zu schicken.

Eine Podiumsdiskussion, bei der Klaus-Jürgen Bauer, Kurator des Architekturhauses Architektur Raum Burgenland, seinen mangelnden Einsatz für die Nachkriegsarchitektur damit begründete, man habe sich zum einen 1993 als Gegenpol zu den dominanten Persönlichkeiten der Architektengeneration der 1970er-Jahre gegründet, und zum anderen wolle man sich öffentlich nicht zu kontrovers äußern, da sonst eventuell eine Kürzung der Fördergelder durch die Landesregierung drohe. Ein fachliches und ethisches Selbstverständnis, zu dem man vieles sagen könnte, zu dem man aber eigentlich nichts mehr sagen muss.

Denn es geht hier nicht darum, ob man den Brutalismus nun gut findet oder nicht. Nicht alles, was in den 1960er- und 1970er-Jahren entstand, hat dieselbe Qualität. Doch wenn man das Gespräch darüber verweigert, verhindert man auch den Konsens darüber, was schützenswert ist und was nicht. Der Umgang mit den Bauten dieser Ära ist ein Indiz für den Umgang mit Architektur an sich. In der Schweiz, zweifellos ein Land mit hochentwickelter Baukultur, werden Betonbauten ebenso gepflegt wie alte Bauernhöfe oder Kirchen. Wer die Nachkriegsmoderne zerstört, ohne sich der gesellschaftlichen Debatte zu stellen, dem ist jegliche Architektur wurscht.

 

Erschienen in: 
Der Standard, 21.7.2019