Sie können auch klein: Coop Himmelb(l)aus Kirchenbau im Grenzort Hainburg wird heute eröffnet
Ein bedeutender Tag, der 30. April. Denn heute ist es auf den Tag genau auch schon wieder 1700 Jahre her, dass der römische Kaiser Galerius im Edikt von Nikomedia den Christen erstmals die Freiheit der Religionsausübung gewährte. Vorausgesetzt, sie passten sich in der Öffentlichkeit an. Natürlich. Vorbereitet wurde diese epochale Wende in einem Ort am nördlichen Rande des Reiches - Carnuntum an der Donau, nahe dem heutigen Hainburg an derselben.
Ein doppelt bedeutender Tag, der 30. April. Denn mit der Öffnung des österreichischen Arbeitsmarkts für die Nachbarn im Osten erfolgt ein weiterer, wenn auch nicht ganz so epochaler Schritt in Richtung Freiheit. Und wieder gerät die Region ins Blickfeld. Die Jahrzehnte des Dornröschenschlafs im Schatten des Eisernen Vorhangs liegen weit zurück, heute ist man dem slowakischen Nachbarn im Osten längst entgegengewachsen. Rund 300 der 6000 Einwohner Hainburgs sind slowakische Staatsbürger, die vor allem von den günstigen Grundstückspreisen in Sichtweite Bratislavas angelockt wurden.
Dreifach bedeutender Tag
Und als wäre es der bedeutenden Daten nicht genug, wird in Hainburg an diesem 30. April auch das seltene Ereignis eines Kirchenneubaus gefeiert, noch dazu eines einer evangelischen Kirche. Zwar ist man gegenüber der katholischen Übermacht die deutliche Minderheit, doch anders als bei dieser nimmt die Zahl der Mitglieder leicht zu. Gründe genug für ein brandneues Gotteshaus. Bisher provisorisch in einer baufälligen Villa untergebracht, will man sich nun stolz mitten im Ort zeigen. Die Tatsache, dass man auch auf der religiösen Ebene des Alltags grenzübergreifend agiert, ist ein zusätzlicher Faktor. "Es kommen regelmäßig Slowaken in den Gottesdienst, und wir arbeiten schon lange mit der Gemeinde in Bratislava-Petrzalka zusammen", sagt Pfarrer Laszlo Hentschel. Auch zweisprachige Gottesdienste sind geplant.
"Ein Neubau ist in der heutigen Zeit, in der Kirchen eher umgenutzt werden, etwas ganz Besonderes", sagt Paul Weiland, Superintendent der evangelischen Kirche in Niederösterreich. "Der Bau soll auch ein Zeichen dafür sein, was Kirche sein kann: transparent, einladend und offen." Zwar war das Budget mit 1,4 Millionen Euro knapp bemessen, doch an der Architektur sollte nicht gespart werden. "Nur ein Dach über dem Kopf reicht nicht. Wenn man heute eine Kirche neu baut, dann sind künstlerisch und architektonisch die Besten gerade gut genug", sagt Weiland.
Man begann zunächst mit der Suche vor der eigenen Haustür und wurde gleich ganz oben fündig: Bei den Stars von Coop Himmelb(l)au. "Wir haben herausgefunden, dass Wolf D. Prix hier in Hainburg aufgewachsen ist, aber hier noch nie etwas gebaut hat." Prix ließ sich nicht lange bitten. Schließlich hatte er mit seiner Heimatstadt noch ein Hühnchen zu rupfen: 2002 war sein expressiver Entwurf für das Besucherzentrum des Nationalparks Donauauen trotz bereits erfolgten Spatenstichs von einer Pressekampagne der Projektgegner gekippt worden.
Ein winziges Budget, eine Grundfläche von gerade einmal 300 Quadratmetern, eingezwängt zwischen verputzte Altstadthäuser - es versprach eine ungewöhnliche Aufgabe zu werden für ein Büro, dessen weltweite Werke normalerweise als dynamische, der Schwerelosigkeit trotzen wollende Großskulpturen frei entfaltet auf Präsentiertellern stehen. Noch dazu in einer Formensprache, die eindeutig mehr dem Opulent-Barocken, ergo Katholischen, nahesteht als dem rationalen Protestantismus.
"Sicher, in das Konferenzzentrum, das wir gerade in China bauen, würde die Kirche 2000-mal hineinpassen," sagt Wolf Prix. "Aber auch ein kleines Bauwerk kann seine Umgebung total verändern."
Das tut es zweifellos: Am Eck des Grundstücks schwingt sich wie eine elegant verbogene Stimmgabel ein schlanker Glockenturm empor, daneben faltet sich eine Glasfassade rhythmisch den Gehweg entlang, und darüber streckt das gewölbte, silbern schimmernde Dach dem Licht drei saugnapfartige Ausstülpungen entgegen. "Das 30 Tonnen schwere Dach haben wir in einer norddeutschen Schiffswerft fertigen lassen, per Tieflader durch Hainburgs mittelalterliche Stadttore gefädelt und am Stück per Kran auf das Gebäude gehoben", erzählt Prix.
Dach aus der Schiffswerft
So weit, so spektakulär. Dennoch gebärdet sich das dreiteilige Ensemble nicht als Fremdkörper. Maßstäblich fügt es sich in die aneinandergewürfelten Häuserreihen ein, und seine Rundungen nehmen die Dachkrümmung des romanischen Beinhauses auf, eines Überbleibsels der alten Kirche, die bis ins 17.Jahrhundert auf dem Grundstück stand.
Nur der prominent an der Straße platzierte eigentliche Kirchenraum gibt sich extrovertiert in Form und Material, während Gemeindesaal und Nebenräume puritanisch weißgetüncht fast schon zu bescheiden die Hainburger Putzfassaden ihrer Gegenüber übernehmen.
Herzstück einer Kirche bleibt jedoch immer noch der Innenraum, wo Liturgie und stille Einkehr herrschen. Ein per se statischer Raum also, ganz anders als die sich wie Wolken verändernde Architektur, wie sie von jeher im Programm von Coop Himmelb(l)au steht. Prix: "Das ist überhaupt kein Widerspruch. Kirchenbauten sind schließlich immer Lichträume, und Licht verändert den Raum permanent. Man könnte sagen, dass die Architektur so schnell ist, dass sie fast stillsteht - wie die Speichen eines sich drehenden Rades."
Dass der Architekt zwar den Himmel im Büronamen trägt, aber zur Religion kein Verhältnis hat, war für die liturgischen Anforderungen kein Hindernis, betont Paul Weiland. "Obwohl er ja keine Beziehung zur Kirche an sich hat, hat sich Wolf Prix in hervorragender Weise hineingedacht und genau das umgesetzt, was wir uns vorgestellt hatten."
Protestantische Transparenz
Die Annäherung der Form an die Bedeutung kam, so Prix, ganz von selbst. "Die drei Lichtöffnungen im Dach symbolisieren die Dreieinigkeit, aber die Idee kam schlicht und einfach daher, dass zwei oder vier Öffnungen für diesen Raum unpassend gewesen wären. Beim Entwurf des Altars habe ich eine Skulptur von Henry Moore assoziiert. Die Gemeinde war wiederum begeistert, weil sie darin ein Symbol für die Grablegung und Wiederauferstehung Christi sah."
Die protestantische Transparenz kam dem Architekten ebenfalls gelegen. So ist der Altar an die verglaste Straßenseite gerückt und von dieser nur durch eine perforierte Holzwand mit eingeschnittener Kreuzform getrennt. Durch diese können neugierige Andersgläubige zukünftig von der Straße aus dem Pfarrer sozusagen direkt ins Kreuz schauen.
Angeschaut haben die Hainburger ihre neue Kirche schon längst. Die Meinungen sind geteilt. "Manche meinen, der Bau sähe aus wie ein Dampfschiff", lacht Paul Weiland. Nicht unpassend für einen strahlend weißen Bau an der Donau mit einem Dach aus der Werft. "Das Traurigste wäre, wenn man gar nicht darüber spräche." Die Befürchtung dürfte unbegründet sein: Zur heutigen Eröffnung wird ein Großaufgebot erwartet. Und Milos Klátik, der Generalbischof der evangelischen Kirche der Slowakei, ist selbstverständlich auch dabei.
(erschienen in: DER STANDARD, 30. April/1. Mai 2011)