Eigentum vernichtet

Eine türkis-blaue Gesetzesänderung will Eigentum statt Miete im gemeinnützigen Wohnbau forcieren. Ein Angriff der Immobilienwirtschaft auf das Rote Wien?

Glücklich sieht sie aus, die Familie Patterson aus Sussex. Am Tisch in ihrer Küche sitzt an diesem Tag im Jahr 1980 die relativ frischgebackene Premierministerin Margaret Thatcher und hat ein Geschenk mitgebracht: den Kaufvertrag für das Haus der Pattersons. „Right to Buy“ lautet das Gesetz, das Thatchers konservative Alleinregierung soeben beschlossen hat. Es soll den Briten den Kauf ihrer Mietwohnungen ermöglichen, und zwar mit großzügigen Rabatten – im Durchschnitt zu 44 Prozent des Marktpreises.

Eigentum statt Miete: Das war eine Kernbotschaft der Konservativen im Wahlkampf 1979 gewesen und entsprach Thatchers berüchtigtem Diktum „There’s no such thing as society“ – so etwas wie eine Gesellschaft gebe es nicht, es gebe nur Einzelne und ihre Familien. „A nation of homeowners“ solle das Vereinigte Königreich werden, so die Konservativen, denn schließlich hatten Hausbesitzer traditionell die Angewohnheit, konservativ zu wählen. „Right to Buy“ wurde zum durchschlagenden Erfolg – vor allem für Angehörige des Mittelstands. Für viele Bewohner der Housing Estates, der Sozialwohnungen, die in den 60er- und 70er-Jahren vor allem von Labour-Stadtverwaltungen errichtet worden waren, war das Gesetz der Beginn eines neoliberalen Albtraums.

Warum das? Zum einen wurden die Mittel für Neubau und Erhalt radikal gekürzt. Der soziale Wohnbau kam quasi zum Erliegen – und das bis heute. Siedlungen verkamen, weil kein Geld für Reparaturen mehr da war, kommunale Verwaltungen hatten für Neubau kein Budget mehr oder wurden, wie das Greater London Council 1986, gleich komplett aufgelöst. Die Verwaltung von Bauten, in denen sich Eigentum und Miete mischten, wurde chaotisch kompliziert. Die gravierendste Folge: Die Siedlungen, in denen jene wohnten, die sich kein Eigentum leisten konnten, wurden als „sink estates“, als Sozialghettos, stigmatisiert. „Right to Buy“, als Signal für allgemeinen Wohlstand propagiert, erwies sich als perfekter Keil für die Spaltung zwischen Oben und Unten. Wohnen, eigentlich ein Grundrecht, wurde zum Spekulationsobjekt.

40 neoliberale Jahre später leidet London unter einer katastrophalen Wohnungskrise. Der Mittelstand kann sich seit der Wirtschaftskrise den Aufstieg auf der „Housing Ladder“, dem System des sukzessiven und profitablen Kaufens und Verkaufens, kaum noch leisten. In manchen Londoner Bezirken müssen durchschnittlich 80 bis 90 Prozent des Einkommens fürs Wohnen bezahlt werden. Als zumutbar gelten in der Regel 25 Prozent. Die Obdachlosigkeit ist auf Rekordniveau. Die Konservativen, viele von ihnen Immobilienbesitzer, sahen kein Problem darin – und fielen aus allen Wolken, als die Wohnungskrise zu einem wesentlichen Faktor für Theresa Mays Verlust der absoluten Mehrheit bei den Unterhauswahlen 2017 wurde.

Kein Wunder, dass viele Briten sehnsüchtig nach Kontinentaleuropa und vor allem nach Wien blicken: der Stadt, in der 60 Prozent der Bewohner in geförderten Wohnungen leben, davon 220.000 im Gemeindebau. Der Stadt, die ihr Tafelsilber nicht verscherbelt hat, während etwa Londoner Bezirke heute Grund und Boden, den sie in den 80er- und 90er-Jahren für schnelles Geld veräußerten, für ein Vielfaches der Summe zurückkaufen. Auch Deutschland, wo man den gemeinnützigen Wohnbau in den 80er-Jahren nach dem Neue-Heimat-Skandal abgeschafft hat und in den 90er-Jahren der Neubau von Sozialwohnungen zum Erliegen kam, blickt heute neidisch nach Wien: In Berlin wurde unter Finanzsenator und SPD-Rechtsausleger Thilo Sarrazin die städtische GSW mit 65.000 Wohnungen für 400 Millionen Euro im Jahr 2004 an ein Konsortium von Fondsgesellschaften verkauft. Kurz danach wurden die Mieten dieser Wohnungen um 20 Prozent erhöht. Heute diskutiert Berlin über die Möglichkeit von Enteignungen, um sich den Wohnbestand zurückzuholen.

Ist Österreich also die Insel der Seligen? Vielleicht nicht mehr lange. Denn die ÖVP-FPÖ-Regierung, deren türkiser Teil ebenso wie die britischen Konservativen von großen Teilen der Immobilienwirtschaft unterstützt wird, hat nun eine Gesetzesänderung eingebracht, die Ängste hervorruft, man werde genau die britischen und deutschen Fehler in Österreich wiederholen: Die Novelle des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) soll die Option auf Eigentum im gemeinnützigen Wohnbau deutlich erleichtern. Zwar ist diese (dank einer Gesetzesänderung von Schwarz-Blau aus dem Jahr 2001) bereits jetzt möglich, sie wird von den Bauträgern aber nur in Maßen angewendet. Jetzt soll der Kauf schon nach fünf statt nach zehn Jahren möglich sein und muss von den Bauträgern aktiv angeboten werden; statt bisher ein Antrag per Mieter sollen künftig drei Anträge auf Eigentumsübertragung möglich sein.

Das Vorblatt zum Gesetz formuliert die Intention so: „Die Stärkung der Eigentumsbildung in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft soll mehr Bürgerinnen und Bürgern den Weg in Richtung Wohn-Eigentum erleichtern, während eine Absicherung des sozial gebundenen Mietwohnungsbestandes bestehenden und zukünftigen Mieterinnen und Mietern zugutekommt.“ Jeder bekommt das, was er will – klingt doch eigentlich ganz gut, oder? „Dazu würde der Engländer sagen: ,You can’t have your cake and eat it‘“, kommentiert der Wiener Wohnbauforscher Robert Temel, Sprecher der Plattform Baukulturpolitik, auf Anfrage des Falter. „Man kann nicht gleichzeitig die Mietwohnungsbestände sichern und ins private Eigentum verkaufen. Die aktuellen Pläne der Bundesregierung, die Wohnungsgemeinnützigkeit verstärkt höheren Einkommensschichten zugutekommen zu lassen, zeigen deutlich, wie fragil zentrale Säulen des österreichischen Sozialstaats tatsächlich sind.“

Rund 600.000 Mietwohnungen österreichweit sind im Besitz gemeinnütziger Bauträger, den höchsten Prozentsatz aller Bundesländer hat – wenig überraschend – Wien. Ist das Gesetz also ein weiterer Angriff auf das Tafelsilber der Stadt, just zum 100-Jahr-Jubiläum des Roten Wien? Dass die Immobilienwirtschaft liebend gerne Zugriff auf diese Wohnungen hätte, deren gedeckelte Mieten bei einer Umwandlung in Eigentum enorme Rendite versprächen, ist ein offenes Geheimnis. Die Privatisierung der 60.000 Wohnungen der Buwog durch den damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser beschäftigt bis heute die Gerichte, und der Wiener Stadtrechnungshof untersucht zurzeit den Versuch des Investors Michael Tojner (Wertinvest), die 3000 Sozialwohnungen der Wohnbauvereinigung der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (WBV-GÖD) zu erwerben und aus der Gemeinnützigkeit herauszulösen.

Solche Begehrlichkeiten sind längst ein globaler Trend: Mächtige Kapitalbeteiligungsfonds wie die US-Investmentgesellschaft Blackstone Group kaufen weltweit aggressiv im großen Maßstab Wohnungen auf – darunter auch Sozialwohnungen im Wohlfahrtsstaat-Musterland Schweden.

Man darf sich ruhig fragen, warum eigentlich die Immobilienwirtschaft fast ungebremst von Werten profitieren darf, die nicht sie selbst, sondern die Gesamtgesellschaft geschaffen hat. Ironischerweise ist es nicht zuletzt der leistbare Wohnraum, der Wien in der (keineswegs einer ideologischen Nähe zum Wohlfahrtsstaat verdächtigen) Mercer-Studie auch 2019 wieder Platz eins im Ranking der weltweit lebenswertesten Städte garantiert. „Ein gutes Jahrhundert sozialdemokratischer Politik ist nötig, damit es eine Stadt in neoliberalen City-Rankings an die Spitze schafft“, bemerkte der Schriftsteller Günter Hack schon 2015 ironisch.

Die ersten Reaktionen auf die Gesetzesänderung verliefen dann auch entlang der Parteilinien. „Diese Novelle ist ein Schritt in Richtung Privatisierung von Wohnraum“, heißt es auf Anfrage des Falter aus dem Büro von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ). „Aktuelle Entwicklungen zeigen aber deutlich, dass das der falsche Weg ist. Wien ist weltweit Vorbild für leistbares und lebenswertes Wohnen, und das Erfolgsgeheimnis des Wiener Modells ist, dass die Stadt seit hundert Jahren ihre Hand schützend über den Wohnungsmarkt hält und das städtische Wohnungseigentum immer in ihrem Einflussbereich gehalten hat. Rund zwei Drittel der Wiener leben heute im sozialen Wohnbau, das ist eine gewaltige Förderung der Mittelschicht und hat natürlich eine stark preisdämpfende Wirkung auf den gesamten Wohnungsmarkt.“

Was sagen die gemeinnützigen Bauträger selbst? Manche Punkte der Gesetzesreform sehen sie durchaus positiv, etwa die vorgesehene Absicherung des gemeinnützigen Vermögens oder die Tatsache, dass Wohnungen unter 40 Quadratmetern von der Eigentumsoption ausgenommen sind. Karl Wurm, Obmann des Verbands der Gemeinnützigen Bauträger (GBV), warnt jedoch vor Einzelspekulanten, die Wohnungen auf Dauer dem mietpreisgebundenen Angebot entziehen könnten. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr: Wie das Beispiel der Blackstone Group in Schweden zeigt, können auch große Fonds mit dem Zusammensammeln einzelner Wohnungen unter Umständen enorme Spekulationsgewinne machen.

Klar ist: Eigentum an sich ist keineswegs böse, und der Mietkauf wird bisher schon praktiziert. Der Inhalt von Gesetzesnovellen wie dieser ist allerdings nur ein Teil der politischen Intention. Der andere ist das Signal, das man aussendet. Die ÖVP darf hier ihrer Investorenklientel signalisieren: Wir setzen eure Interessen um, nämlich die schon im Regierungsprogramm fixierte „Forcierung der Eigentumsbildung“. Und auch die FPÖ darf ihre Klientel umsorgen.

Denn die Novelle sieht vor, dass „sämtliche Tätigkeiten einer gemeinnützigen Bauvereinigung vorrangig zugunsten einer Wohnversorgung von österreichischen Staatsbürgern auszurichten“ sind. Dass dies im Kleingedruckten gar nicht so simpel funktioniert (EU-Ausländer und solche, die ein Zeugnis über eine Integrationsprüfung vorlegen können, sind Inländern gleichgestellt), wird in der Öffentlichkeitsarbeit geflissentlich übergangen. Aber man hat eben den Begriff „Österreicher“ einmal mehr in die Welt hinausgerufen, der Message-Control ist Genüge getan.

Fazit: Die Novelle wird den sozialen Wohnbau nicht zum Einsturz bringen. Sie bedeutet jedoch eine weitere Schärfung der Frontlinien in der Wohnbaupolitik. Das zeigen die Lektionen aus London überdeutlich. Weitere Lehren aus 40 Jahren neoliberaler Wohnbaupolitik im Vereinigten Königreich: Wenn der soziale Wohnbau nur für die Ärmsten der Armen reserviert ist, wie es die ÖVP seit langem immer wieder fordert, lässt sich viel leichter mit dem Finger auf ihn zeigen, lässt er sich als „sozialer Brennpunkt“ und Ghetto stigmatisieren. Die soziale Durchmischung, in Österreich weitgehend erfolgreich praktiziert, ist jenen, die von Krisen profitieren, ein Dorn im Auge.

Ob in Österreich oder im Vereinigten Königreich: Das konservative Mantra „Eigentum = Sicherheit“ gilt ohnehin nur für die, die sich Eigentum leisten können, und auch das nur bis zur nächsten Immobilienkrise.

Der freie Markt, heißt es aus neoliberalen Kreisen, müsse einfach nur noch freier werden und würde dann, von Regulativen befreit, ganz schnell ganz viele Wohnungen bauen und die Wohnungskrise lösen. Die Bereitstellung von leistbarem Wohnraum ist jedoch genau das Gegenteil von dem, was der freie Markt will. Er profitiert von der hohen Nachfrage und vom Mangel.

Wie sagte der Architekt Neave Brown, einer der herausragenden Proponenten der goldenen Ära des britischen sozialen Wohnbaus in den 1970er-Jahren, kurz vor seinem Tod 2018 im Rückblick auf sein Lebenswerk: „Der freie Markt kann die Wohnungskrise nicht beheben.“ Das „Right to Buy“ kann es ebenso wenig.

 

 

Erschienen in: 
Falter 20/2019, 2.5.2019