Die Stars der verbotenen Stadt

Der mit reichlich Pritzker-Preisträgern besetzte Novartis Campus in Basel nimmt allmählich Gestalt an. Ein Zwischenbericht

Lautlos ziehen die prachtvoll gefärbten Koi ihre Kreise im Wasserbecken auf der Piazza. Unter dem schattigen Blätterdach lehnen Menschen mit klugen, konzentrierten Gesichtern entspannt auf Sesseln, Laptops auf den Knien, international telekonferierend. Sorgfältig behelmte Fahrradfahrer mit Rucksäcken rollen vorbei. Gegenüber stoppt ein Kleinbus sanft an der Haltestelle vor dem Supermarkt. Kleingruppen streben den Tischen unter den Arkaden entgegen: zum Lunch in die Osteria Dodici oder heute mal in die Sushibar?

Eine freundliche und perfekte Welt. So perfekt, dass ein Neuankömmling unweigerlich in die Sonne blinzelt, um zu prüfen, ob diese nicht doch ein Scheinwerfer und das alles eine Art urbaner Truman Show ist. Doch die Szenerie ist voll und ganz real: Der Neuankömmling befindet sich auf dem Novartis Campus in Basel, exakt an der Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich.

Als der Pharmagigant 1996 durch die damals weltgrößte Fusion aus den Firmen Sandoz und Ciba-Geigy entstand, erbte er auch deren Betriebsareale, ein mehr als100 Jahre gewachsenes Konglomerat aus Produktionsstätten und Verwaltungsbauten, das sich schon bald als nicht mehr zeitgemäß erwies. Im weltweiten Werben um internationale Spitzenkräfte waren Konkurrenz und Ansprüche gewachsen.

Die Lösung: ein moderner Campus in Form einer verdichteten Stadt als Lockmittel für die Forscherelite.

Im Jahr 2000 beauftragte daher CEO Daniel Vasella den Zürcher Architekten Vittorio Magnago Lampugnani mit der Erstellung eines Masterplans für die sukzessive Neubebauung des 20 Hektar großen Areals mit einem "Campus des Wissens, der Innovation und Begegnung" - mit flexiblen "Multispace-Offices" und dem Unternehmen als "selbst regulierendem Gehirn".

Lampugnani goss die weichen Standortfaktoren dieser neuen Unternehmenskultur in ein hartes Korsett: ein strenges Raster aus schmalen Baublöcken mit 23 Meter Traufhöhe, rechts und links der 600 Meter langen arkadengesäumten Fabrikstraße. Ein konservatives Erscheinungsbild für die Innovationen des 21. Jahrhunderts.

Innovation im strengen Raster

Geld spielte für den drittgrößten Pharmakonzern der Welt (Nettoumsatz 2010: 50,6 Milliarden Dollar) dabei eine untergeordnete Rolle. Wie bei den Scheichs von Dubai galt auch hier: Die Besten sind gerade gut genug. Stararchitekten mussten her. Man ließ sich die Liste mit den Pritzker-Preisträgern reichen.

Im Jahr 2030 sollen 10.000 Menschen auf dem Campus arbeiten und das Raster mit Büros und Laborgebäuden gefüllt werden. Zwölf von diesen sind bereits fertig und bezogen, darunter die Bauten von Frank O. Gehry, Tadao Ando, Rafael Moneo, Adolf Krischanitz, Peter Märkli und Lampugnani selbst. Mit der Eröffnung des Laborgebäudes von David Chipperfield ist nun die Straßenzeile entlang der Hauptachse fast komplett und vermittelt einen ersten Gesamteindruck des Forscherparadieses.

Anders als bei den vielpublizierten Starvehikeln am Persischen Golf bleibt die Architektur hier Privatangelegenheit des Konzerns. Erst seit kurzem ist die "Verbotene Stadt" an wenigen Samstagen im Jahr auch für Betriebsfremde geöffnet. Das Interesse ist mit 20.000 Besuchern im Jahr beachtlich.

Hat man die hohen Sicherheitsvorkehrungen, den gläsernen Eingangspavillon und die filigranen Büroriegel von Diener & Diener sowie SANAA passiert, fällt als Erstes Peter Märklis 2006 fertiggestelltes Besucherzentrum ins Auge. Und ironischerweise ist es ausgerechnet ein strenger Schweizer, der mit dem reichlichen Budget (über die genauen Zahlen schweigt man sich aus) am lustvollsten umgeht.

Erinnert die braune Aluminiumfassade noch an ein klassisches amerikanisches Bürogebäude aus der Nachkriegsmoderne, gibt es im Inneren kein Halten mehr: ein repräsentatives Atrium mit Stiegen aus weißen Marmor, Handläufen aus Oliven- und Wandvertäfelungen aus Eibenholz. Antikes Griechenland und Rockefeller-Chic, handwerkliche Detailarbeit und barocke Opulenz. Eine makellose Architektur, die wirkt, als wäre sie aus purem Geld gebaut.

Wenige Blocks weiter: der Bürobau für den Bereich Human Resources von Frank O. Gehry. Als Einziger, der sich über den Masterplan hinwegsetzen wollte und durfte, setzte er ein wild flatterndes Bündel aus Stahl und Glas ins Grün. Nähme man den Campus als Stadtviertel, ginge die freie Form ohne weiteres als Kirche durch. Nur - ganz so frei ist die Form leider nicht: Die Flügelschwingen sind dort, wo sie an die Straße reichen, abrupt, wie mit dem Fallbeil, gestutzt.

Anstrengendes Stützenmikado

Auch von innen löst es nicht ein, was es verspricht: Der statische Aufwand, die dynamische Form an Ort und Stelle zu halten, mündet in ein anstrengendes Mikado von Stützen, denen auch die Holzverkleidung nicht das Massive nimmt. Dazwischen verkümmern die 140 Arbeitsplätze zu Resträumen - von Licht und Luftigkeit bliebt nicht viel übrig.

Dies gelingt dem jüngsten Bau auf dem Campus, dem subtilen Laborgebäude von David Chipperfield, noch am besten. Die Arbeitsplätze hoch, hell und stützenfrei, ganz im Sinne des sogenannten "Lab of the Future", das bei No-vartis für die flexible Konzeption der Arbeitsplätze zuständig ist - bei bis zu 5000 firmeninternen Umzügen im Jahr kein Kinderspiel. Als visuelle Belohnung für diese ständige Bewegung entwarf der Designer Ross Lovegrove eine bionische Labortreppe aus Fiberglas, die wie ein in Honig getauchtes Dinosaurierskelett im Raum steht.

Zukunftslabore, Bionik, Innovation - in einem Campus, der letztendlich einer von allen Störungen gereinigten Idealstadt gleicht? Vielleicht muss man abwarten, bis der Campus wirklich ein Teil von Basel wird. Eine komplette Öffnung der Verbotenen Stadt nach 2030 wird von Novartis zumindest nicht ausgeschlossen. Bis dahin darf der Bürger samstags zu Besuch kommen. 

 

(erschienen in: DER STANDARD, 21./22.5.2011)