Raus aus der Opferrolle: Bürger in Südeuropa nehmen den Markt selbst in die Hand. Das Projekt "We-Traders" geht 2014 auf Tournee. Die Kuratorin Angelika Fitz im Interview
Bauruinen, Arbeitslosigkeit, leere Stadtkassen: Die Städte in Südeuropa sind von der Krise am stärksten betroffen. Doch jenseits des an Kaninchen vor der Schlange erinnernden, angstvollen Geredes von der Reaktion "der Märkte" entstehen heute Initiativen, die den Markt längst selbst in die Hand nehmen.
In Berlin wird Urban Gardening betrieben. In Turin und Toulouse werden Wohnhäuser selbst verwaltet. In Lissabon geht es darum, leerstehenden, für die Immobilienwirtschaft unattraktiven Wohnraum zu vermitteln. Und in Madrid macht sich eine engagierte Nachbarschaft jene Brachflächen zunutze, die aus dank der Krise gescheiterten Großprojekten entstanden sind.
Unter dem Namen We-Traders werden diese vielversprechenden Initiativen aus all diesen Städten im kommenden Jahr präsentiert. Konzipiert wurde das Projekt im Auftrag des Goethe-Instituts von der österreichischen Kuratorin Angelika Fitz und der Berliner Grafikerin Rose Epple. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt Angelika Fitz, was es mit der Renaissance des "Wir" auf sich hat und warum wir von diesen Städten gerade jetzt lernen können.
Der erste Schock ist überstanden. Hat uns die Krise stärker gemacht?
Fitz: Ja und nein. Die Krise in Süd- und Südwesteuropa ist immer noch sehr präsent. Madrid, Lissabon, Turin und Toulouse knabbern heute allesamt an ähnlichen Problemen. Doch nach der Anfangsphase mit Protesten und Demonstrationen hat jetzt die Zeit des Machens begonnen. Die Leute nehmen die Dinge nun selbst in die Hand.
Das heißt?
Fitz: Die Krise zeigt überall vergleichbare Symptome: Immobilienblase, soziale Polarisierung, Jugendarbeitslosigkeit. Und wir erkennen, dass das bürgerliche, gemeinschaftliche Engagement heute immer wichtiger wird. Meine Co-Kuratorin Rose Epple und ich haben uns gefragt: Wie reagieren die Bürger auf diese Krisen? Was daran ist wirklich neu?
Was haben Sie dabei herausgefunden?
Fitz: Es geht bei We-Traders nicht darum, Initiativen neu zu erfinden, sondern wir wollen zeigen, was gerade passiert. Es geht dabei nicht nur um "bottom-up", sondern um Mischformen zwischen öffentlicher Förderung, Crowd-funding und No-Funding. Man will den Markt nicht den Investoren überlassen. Ein anderer, ein neuer Markt soll geschaffen werden.
Nimmt man mit diesem Community-Building nicht den Staat aus der Pflicht?
Fitz: Nein. Es geht nämlich nicht darum, die öffentlichen Leistungen zu ersetzen, sondern eher um Nadelstiche, um Ideen und Anstöße. In Lissabon gibt es das Programm BIP/ZIP, das kleine bürgerschaftliche Initiativen sehr unbürokratisch mit Förderungen bis zu 50.000 Euro unterstützt. Es ist aber vor allem eine Frage des Maßstabs: Große Planungen wie Verkehr und Infrastruktur müssen von der Politik geleistet werden, schließlich wird das von den Bürgern auch erwartet. Aber daneben braucht es eben auch die kleinen Akupunkturen.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Initiativen - wie es oft bei Bürgerbeteiligung der Fall ist - nur eine gebildete bürgerliche Elite ansprechen?
Fitz: Diese Initiativen sind keine Bürgerbeteiligungen - sie sind alle von unten gewachsen! Der Campo de Cebada in Madrid zum Beispiel ist ein Areal, auf dem ein Hallenbad abgerissen wurde, wo das neue Projekt allerdings von der Krise gestoppt wurde. Jetzt ist dort eine Baugrube. Rundherum gibt es eine sehr gemischte Nachbarschaft, die sich zusammengetan hat, um hier Aktivitäten wie Sport, Theater und Gärtnern anzustoßen.
Es geht also nicht um Abstraktes, sondern um die konkrete Alltagswelt in der Krise?
Fitz: Ja. Man sieht enorm viel Kompetenz, viel Eigeninitiative, und das hat nichts mit einer Opferrolle zu tun. Im Gegenteil: Wir können davon lernen. Allmählich beginnen die Systeme und Strukturen sich zu öffnen.
Braucht es also einen gewissen Leidensdruck, damit sich etwas bewegt?
Fitz: Schwer zu sagen. Die Verlangsamung der Wirtschaft durch die Krise spielt sicher eine Rolle. Es geht aber vor allem um ein moralisches Umschwenken. In Portugal erzählten die Leute, dass es nach der Nelkenrevolution 1974 eine kurze Phase neuer sozialer Bewegungen gab, in denen das Wir wichtig war. In Spanien war es ähnlich.
Wohin geht der Trend heute?
Fitz: Die Frage nach dem Wir wird immer stärker. Manche diagnostizieren sogar eine soziale Bewegung wie damals in den 60er-Jahren.
Daher also der Name "We-Traders"?
Fitz: We-Traders lässt sich am besten mit "Wir-Geschäfte" übersetzen - und zwar nicht ohne Augenzwinkern, denn große Geschäfte werden dabei nicht gemacht. Es geht um das Gemeinwohl, nicht um den privaten Gewinn. Die Leute wollen sich aktiv einmischen.
Wie kommt Berlin als nicht südwesteuropäische Stadt in die Runde?
Fitz: Unser Auftraggeber, das Goethe-Institut, ist daran interessiert, das Know-how nach Deutschland zurückzuspielen. Berlin ist in einer Dauerkrise, die sich jetzt, nachdem der Immobilienmarkt so stark angezogen hat, immer mehr zuspitzt. Was früher attraktiv war, weil es kein Geld, aber viel Raum gab, kippt jetzt: Raum wird immer teurer und exklusiver, und der soziale Wohnbau verschwindet. Insofern ist auch Berlin für uns von Interesse.
Wie wird die Ausstellung diese Tendenzen darstellen?
Fitz: Das Grundthema der Ausstellung ist nicht nur "Was sind We-Trades?" und "Wie kann man We-Trader werden?", sondern auch "Was ist eigentlich die Krise?" Solche abstrakten Themen darzustellen ist nicht leicht.
Und? Wie haben Sie das geschafft?
Fitz: Wir zeigen in der Ausstellung keine EU-Statistiken, denn von den meisten Menschen werden sie als irreführend und stigmatisierend empfunden. Stattdessen haben wir Do it yourself-Statistiken entwickelt, die die Besucher ausfüllen können. So können wir neues Wissen generieren.
Wie geht es weiter?
Fitz: 2014 wird die Ausstellung durch fünf Städte wandern. Madrid wird im Jänner den Anfang machen. Eine sechssprachige Website begleitet alle Aktivitäten. Es wird einen Do it yourself-Katalog geben, und die Initiatoren werden vor Ort arbeiten und auch Workshops anbieten. Es ein aufwändiges Projekt.