Der malaysische Architekt Ken Yeang (*1948) plant seit 40 Jahren grüne Städte und Wolkenkratzer. Ein Gespräch über die Frage, wann ökologisches Bauen wirklich ökologisch ist.
Sie haben sich schon in den 70er-Jahren mit ökologischem Bauen beschäftigt, als das noch niemand tat. Wie kam das?
Yeang: Ich forschte damals an der Universität Cambridge über Buckminster Fuller. Nach sechs Monaten sagte ich zu meinem Chef: "Ich glaube, ökologisches Bauen muss dringend entwickelt werden". Er sagte: Gut, dann tun Sie das. Also ließ ich das Projekt sein, dissertierte über grünes Bauen, und gründete ein Jahr später mein Büro. So wurde die Ökologie zum Leitthema meines Lebens.
Was genau macht ökologisches Bauen ökologisch?
Yeang: Der ganzheitliche Blick. Viele reden von grünem Design, CO2-neutralem Design, Design gegen Klimawandel und so weiter. Aber wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren, und das Ziel ist die Umwelt als Ganzes.
Sie haben einmal den Begriff Eco-Mimicry geprägt. Was heißt das genau?
Yeang: Sehen Sie, die Natur an sich existiert immer in einem stabilen Zustand. Nur durch uns Menschen werden diese Kreisläufe gestört - ökologisch, klimatisch und energetisch. Wenn wir aber die Arbeitsweise der Natur imitieren - und das nenne ich Eco-Mimicry - kommen wir einer stabilen Umwelt wieder näher.
Was müssen wir dafür tun?
Yeang: Erstens: Energie. Die Natur nutzt nur solare Energie, keine fossilen Brennstoffe. Also sollten wir das auch nicht tun. Zweitens: Die Natur kennt keinen Abfall - das ist ein rein menschliches Phänomen. Wenn wir die Natur imitieren wollen, müssen wir also alles wiederverwerten, was wir produzieren.
Und können die Bauten die Sie entwerfen, das schon? Gibt es vollständig biologisch abbaubare Wolkenkratzer?
Yeang: Sie müssen nicht biologisch abbaubar sein, aber man kann sie so planen, dass man sie am Ende wieder auseinandernehmen kann - man nennt das "design for disassembly". Wir haben das schon entwickelt, aber noch ist es zu teuer.
Wolkenkratzer dienen in erster Linie zur Profitmaximierung. Sind die Leute, die Wolkenkratzer bauen, an Ökologie überhaupt interessiert?
Yeang: Sie behaupten es zumindest. Man baut Wolkenkratzer, wenn der Boden knapp und teuer ist. Aber ab einer gewissen Höhe wird das eine reine Ego-Angelegenheit. Dann geht es nur darum, dominant zu sein. Die vernünftige Höhe liegt meiner Meinung nach bei etwa 60 Stockwerken. Was darüber hinausgeht, ist ineffizient und auch nicht ökologisch.
Wie überzeugt man egozentrische Kunden, wertvolle Nutzfläche für Pflanzen zu opfern?
Yeang: Das müssen wir gar nicht. Die Vorteile liegen auf der Hand! Pflanzen können ein Gebäude um zwei bis drei Grad herunterkühlen. Sie verbessern das Mikroklima und die Luftqualität. Und schließlich die Biophilie: Studien haben gezeigt, dass Patienten schneller gesund werden, wenn sie auf Pflanzen schauen statt auf eine kahle Wand. Und - was für die Auftraggeber wichtiger ist - in Büros mit Grünpflanzen fühlen sich die Leute wohler, sind produktiver, und es gibt weniger Krankmeldungen.
In Abu Dhabi entsteht zurzeit nach Plänen von Norman Foster mit Masdar eine komplett neue Stadt, die sich nur aus erneuerbaren Energien speist. Ist das der richtige Weg in eine grüne Zukunft?
Yeang: Eine grüne Stadt muss vier Aufgaben lösen können: Sie muss technisch CO2-neutral sein. Die Bewohner müssen selbst ökologisch verantwortungsvoll leben. Das Wasser braucht einen geschlossenen Kreislauf mit natürlich gereinigtem Abwasser. Dieses aber aus dem Meer zu nehmen, es zu entsalzen und durch die Wüste bis nach Masdar zu pumpen, ergibt keinen Sinn. Und schließlich bedarf es eines Netzes von Grünflächen. Masdar hat aber keine grüne Infrastruktur. Für mich ist das keine ökologische Stadt. Es ist technisch sehr clever gelöst, aber im Grunde ist es eine gute Idee am falschen Ort.
Was wäre ein besserer Ort?
Yeang: Wien zum Beispiel! In gemäßigten Zonen wie hier lebt die Hauptbevölkerung der Welt. Diese Bevölkerungsdichte finden Sie nicht in kaltem Klima oder in den Tropen und in der Wüste schon gar nicht. Sie haben ja in Wien sogar schon Häuser, auf denen Bäumen wachsen, von diesem Architekten - wie heißt er noch gleich?
Hundertwasser?
Yeang: Genau! Der österreichische Botschafter in Malaysia hat mir einmal ein Buch über ihn geschenkt.
Heutzutage wird alles Mögliche als grün und nachhaltig bezeichnet. Haben diese Begriffe überhaupt noch eine Bedeutung?
Yeang: Es gibt viel "Greenwash", das heißt, das Thema Ökologie wird trivialisiert. Die Medien brauchen ab und zu ein grünes Thema, das dann sehr albern und oberflächlich abgehandelt wird. Und die Projektentwickler benutzen den Begriff als Köder, um ihre Immobilien besser verkaufen zu können. Aber die Architekten sind oft noch schlimmer!
Warum das?
Yeang: Es gibt diese "green wannabes", die behaupten, sie würden grün bauen, weil ihr Gebäude LEED-platinzertifiziert ist und basta. Aber das reicht nicht. Ich will nicht über einzelne Kollegen herziehen, und diese Bewertungssysteme sind auch sinnvoll, aber sie bestehen nur aus unvollständigen Einzelaspekten. Ein wirklich grünes Gebäude, so wie diese Architekten behaupten, gibt es noch überhaupt nicht.
Sie arbeiten jetzt seit fast 40 Jahren im Dienste des grünen Bauens. Können Sie sich schon optimistisch zurücklehnen? Hat die Welt die Botschaft verstanden?
Yeang: Ich denke, in den letzten zehn Jahren haben es plötzlich sehr viele Leute verstanden. Da hat ein Wandel eingesetzt. Also: Ja, ich bin optimistisch. Wir dürfen nur nicht genügsam werden und die Hände in den Schoß legen. Die Forscher müssen noch mehr forschen, die Ingenieure mehr entwickeln, die Architekten weiter grünes Bauen optimieren.
Also werden Sie vorerst nicht in Pension gehen.
Yeang: Oh nein! Ich bin erst vor kurzem in London Partner einer Firma geworden und pendle zwischen Großbritannien und Malaysia. Es gibt genug zu tun!
(erschienen in: DER STANDARD, 29./30.10.2011)