Das Ende der frohen Botschaft

Die 1965 von Architekt Rolf Gutbrod erbaute Deutsche Botschaft in Wien ist ein leichtfüßiges Meisterwerk der Nachkriegsmoderne. Jetzt wird sie abgerissen.

Metternichgasse, Wien, 3. Bezirk: Im Botschaftsviertel um diese nach dem Urvater europäischer Diplomaten benannte Gasse gruppieren sich standesgemäß die steinernen Repräsentanzen von Russland, China, und Großbritannien, der halbe Globus residiert gleich ums Eck. Doch mittendrin in dieser wie ein Echo des "langen 19. Jahrhunderts" gemahnenden Nationalparade klafft eine grüne Lücke: ein graugrünes Ensemble ganz ohne Schaufassade, das mehr zum Park als zur Straße gehören und scheinbar gar nicht pompös beeindrucken will: die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland.

Von 1959 bis 1965 erbaut, steht sie für eine Architektur, mit der sich die junge Republik der Welt demokratisch, aufgeklärt und humanistisch präsentierte. In den Nachkriegsjahren fungierte die internationale Moderne als Läuterung vom Albert-Speer-Gigantismus der Nazizeit, und Botschaftsbauten trugen dieses bescheidene Selbstverständnis in die Welt.

Sie verschoben den Schwerpunkt vom Repräsentativen zum Administrativen und verknüpften souverän-mondän den Staat zu Hause mit dem Standort vor Ort. Den Anfang machte 1962 Johannes Krahns Corbusier-Hommage in Neu-Delhi, gefolgt vom feinen Gitterwerk von Egon Eiermanns Botschaftsbau in Washington 1964 und dem tropisch-erdig eingefärbten Ensemble, das Hans Scharoun 1971 auf den Dschungelboden von Brasília setzte.

Auch Rolf Gutbrod (1910- 1999), der Architekt der Wiener Vertretung, war ein Meister dieser Leichtigkeit: Seine zahlreichen Bauten, vor allem in Stuttgart und Berlin, sind so sorgfältig durchkomponiert wie zeitlos und öffnen sich ihrer Umgebung mit einladenden Erdgeschoßzonen. Von trutzigen Denkmalsockeln keine Spur. Seine Wiener Botschaft ist ein Meisterwerk der Vermeidung des Monumentalen: Eine Fuge unter dem Erdgeschoß lässt das ganze Gebäude leicht über dem Gras schweben, die Quarzitplatten in der Fassade sind entgegen der Tektonik vertikal verlegt wie eine hingeworfene Tapete, vor die großen Glasflächen schieben sich fast japanisch anmutende, feingliedrige Holzgitter, und die ebenfalls mit einer Fuge abgesetzte Beton-Attika ist am Südost-Eck keck zu einem Dreieck aufgezipfelt. Die Farbgebung in Anthrazit, Dunkelgrün und Braun ist mehr rheinisch-landschaftlich als austriakisch-barock, und die geknickt geführten Zufahrtswege und das leichte Dach über der Vorfahrt lassen mehr an unbeschwerte Gartenpartys denken als an Sorgenfalten und Krisengipfel.

Wer sich diese Leichtigkeit vor Augen führen möchte, sollte sich allerdings beeilen. Hatte das zuständige Bauministerium in Berlin (BMUB) noch 2007/08 einen Wettbewerb zur Sanierung des Gebäudes ausgeschrieben. Die Planungen dafür waren schon fortgeschritten, als man es sich doch anders überlegte. 2014 wurde deutlich, dass der Bau komplett abgerissen werden soll.

Im Juni jenes Jahres fand die wehmütige Abschiedsgala statt, im November 2015 folgte der Abrissbescheid, es wurde ein erneuter Wettbewerb für einen kompletten Neubau ausgeschrieben, dessen Ergebnisse im April dieses Jahres präsentiert wurde. Diese sind auch ein Gradmesser, wie sich die Bundesrepublik heute, 50 Jahre nach der Gutbrod-Ära, darstellen möchte. Wie sieht sie nun aus, die Visitenkarte der Berliner Republik des 21. Jahrhunderts?

Ein Gutteil der Einsendungen lassen sich unter "Berliner Tristesse" einordnen: preußische Biederkeit, steinerne Villen-Typologien ohne jeden Esprit, Beamtenbollwerke, deren fugendichte Massivität wohl Sicherheit in unruhigen Zeiten symbolisieren soll. Nur nichts Gläsernes, es könnte kaputtgehen. Nur nichts Offenes, es könnten ja die falschen Leute hineinschlendern. Immerhin: Der Siegerentwurf des Leipziger Büros Schulz & Schulz mit seiner panoramischen Beletage gibt sich im Vergleich zu seinen Landsleuten noch am offensten, und die realisierten Bauten des Büros zeugen von Gespür für Material, Detail und Atmosphäre.

Aber warum überhaupt der Gesinnungswandel von Sanierung zum Abriss? "Die Bundesregierung hat sich die Entscheidung nicht leichtgemacht", heißt es aus dem BMUB auf Anfrage des STANDARD. "Sie ist vielmehr die Konsequenz jahrelanger, aber erfolgloser Bemühungen, den Gebäudekomplex gerade auch wegen seiner architektonischen Bedeutung zu erhalten."

Das Gebäude sei zu klein für die wachsenden Nutzungen, die Residenz war schon in den 1990er-Jahren ausgesiedelt worden. Eine zeitgemäße Unterbringung des heutigen Kanzleibetriebs sei ohne deutliche Einschnitte in die Architektur Gutbrods nicht möglich gewesen, die energetische Sanierung, die nicht mehr zeitgemäße technische Gebäudeausrüstung und der Brandschutz kämen noch hinzu. Eine Sanierung wäre daher teurer als ein Neubau.

So ganz wollen diese bautechnischen Argumente nicht überzeugen: Was den Umgang mit der in die Jahre gekommenen Nachkriegsmoderne betrifft, gibt es inzwischen reichlich Expertise, und die aus der gleichen Ära stammenden deutschen Botschaften in Brasilia, Madrid und Neu-Delhi sind in den letzten Jahren allesamt aufwendig saniert worden. Fräst sich hier, wie leider so oft, der durchgenormte, alles nivellierende Bauphysik-Compliance-Zwang destruktiv durch die Baugeschichte? Wäre der Bau nicht ein Fall für den Denkmalschutz? Schließlich hat dieser längst schon die 1950er- und 1960er-Jahre im Visier.

"Wir haben eine Unterschutzstellung erwogen", sagt Friedrich Dahm, Landeskonservator für Wien beim Bundesdenkmalamt. Vor zwei Jahren habe man sich den Bau genau angesehen. "Allerdings wurde das Gebäude inzwischen im Inneren verändert, und von Rolf Gutbrod gibt es in Deutschland zahlreiche und auch bessere Bauten."

Die Schwelle zur Denkmalwürdigkeit, so Dahm, sei generell sehr hoch anzusetzen, man konzentriere sich auf die Highlights. Unter den Wiener Bauten der Nachkriegsmoderne seien beispielsweise das Stadthallenbad und das ORF-Zentrum bereits geschützt, die Stadthalle dürfte bald folgen. "Das sind aber auch die besten Bauten von Roland Rainer."

Dennoch ist auch ein ungeschütztes Baudenkmal ein Baudenkmal. Stellt der Umgang mit diesem der baukulturellen Verantwortung der Berliner Regierung ein gutes Zeugnis aus? Nicht wenige kritische Stimmen sowohl in Deutschland als auch in Österreich meinen: nein.

Deutsche Fachmedien beklagten die Abrisspläne, und auch Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien (AzW), findet klare Worte: "Die Ignoranz deutscher Bürokratie vollzieht tatsächlich den Abbruch eines der schönsten und besten Gebäude von Rolf Gutbrod, und die dummen, eitlen Architekten machen mit. Nicht mehr als eine sanfte Sanierung wäre notwendig gewesen. Jetzt kommt dafür eine wirklich banale Hütte, die der BRD, mitten im Wiener Botschaftsviertel, einfach nicht würdig ist!"

Über die Motive für den Abriss kann man weiter spekulieren. Ob die gebaute Offenheit in Zeiten der Festung Europa unerwünscht ist, ob der globale Zukunftsoptimismus der 1960er-Jahre erodiert ist oder tatsächlich nur die Bauphysik endgültig über die Baukultur gesiegt hat: Wenn demnächst die Abrissbirne in der Metternichgasse anrückt, wird nicht nur ein Stück Architekturgeschichte, sondern auch ein Stück Zeit- und Geistesgeschichte für immer verlorengehen.

 

Erschienen in: 
Der Standard, 15.05.2016