Brexit und Heuxit

Was hat die Debatte um das Wiener Heumarkt-Projekt mit dem Brexit zu tun? Auf den ersten Blick wenig, außer dass sich beides gleichzeitig abspielt. Auf den zweiten Blick jedoch einiges. Beide sind Dauerbrenner der Nachrichten, Perpetua mobilia der Empörung. Die Öffentlichkeit reagiert darauf hier wie dort zunehmend zermürbt: Gibt es denn keine anderen Themen?

Auch strukturell gibt es einige Parallelen. Die eine Seite (dort das Vereinigte Königreich, hier der Investor und die Stadtregierung) will etwas. Die andere Seite (dort die EU, hier die Unesco bzw. der Verein Icomos) sagt: gerne, aber zu folgenden Regeln. Im Fall Heumarkt: Die Höhe des bestehenden Intercont-Hotels muss das Limit bleiben. Das wusste man bereits vor dem Wettbewerb 2013, als es hieß, man würde die Unesco ins Boot holen, was aber unterblieb. Ach, Regeln, das sind nur Worte auf Papier, und das ist geduldig. Man verlässt sich auf sein Verhandlungsgeschick, denn schließlich ist alles ein Deal. Britisches muddling through oder wienerisches "Passt schon, schaun wir sich in Ruhe an" - die Denkweise ist dieselbe. Man werde sich schon einig werden mit der Unesco, hieß es daher Jahr für Jahr. A piece of cake, wie der Brite sagt.

Es folgte ein Eiertanz, bei dem die eine Seite versicherte, der offensichtliche Widerspruch zu den Regeln bestehe gar nicht. Die andere Seite wiederholte mit höflichem Augenrollen ihre Position. Die eine Seite empörte sich, wie die andere so unflexibel sein könne. Man könne etwas Komplexes doch nicht an so lästigen Dingen wie dem Nordirland-Backstop (Brexit) oder der Höhe eines Gebäudes (Heumarkt) festmachen.

Also werden immer wieder neue Strategien aus dem Hut gezaubert, mal versöhnliche (die "Denkpause" während der Bundespräsidentenwahl 2016, als halbherzig an den Baukubaturen herumgewurschtelt wurde, ohne die Höhe aufs Unesco-Maximum zu reduzieren), mal trotzige (man brauche das Weltkulturerbe eh nicht, die Touristen kämen auch so -das stimmt, ist aber nicht der Punkt). Das geht so lange, bis es dieser Seite dämmert, dass sie sich in eine Sackgasse manövriert hat. Am vorigen Wochenende schließlich die neueste Drehung. Die Stadt Wien kündigte auf Anraten des Icomos an, das Projekt für zwei Jahre einzufrieren, und verordnete (schon wieder) eine Nachdenkpause, "wo nichts radikal Neues passiert, schon gar keine Baumaßnahmen", so Landtagspräsident Ernst Woller (SPÖ).

Klar ist: Das Heumarkt-Projekt hat sich zum toxischen Politikum entwickelt, das viele am liebsten ausblenden würden, zumindest bis nach der nächsten Wien-Wahl. Ob der Heuxit auf Raten gelingt? Die Debatte wird wieder aus den Nachrichten verschwinden. Aus der Welt ignorieren kann man sie nicht.
 
 
Erschienen in: 
Falter 12/2019, 20.3.2019