Blockfrei und farbenfroh

Zwischen Internationalität und Isolation, zwischen Süden und Osten: Die Architektur Belgrads zeigt von jeher eine Eigenständigkeit abseits von Ostblock-Klischees.

Als im April 1999 die Bomben der Nato in der Operation "Allied Force" auf das Verteidigungsministerium der jugoslawischen Restrepublik fielen und dieses schwer beschädigten, war der Schaden vor allem ein symbolischer: Das Gebäude stand bereits leer. Traurige Ironie: Der im Volksmund "Generalstab" genannte Bau in der Prachtstraße Kneza Milosa stand an der Stelle, an der schon das Verteidigungsministerium des Königreichs Jugoslawien 1941 durch den Überfall Nazideutschlands zerstört worden war.

Ein beispielhaftes Schicksal für eine Stadt, in der kriegerische Zerstörung und Wiederaufbau von jeher Teil der Geschichte waren - in insgesamt 115 militärischen Konflikten wurde Belgrad 44-mal zerstört. Die Halbruine des Generalstabsgebäudes steht noch heute unverändert und eingezäunt mit klaffenden Löchern an der vielbefahrenen Straße. Dem Abriss knapp entgangen, wurde das Gebäude 2005 als Baudenkmal eingestuft, doch seine Zukunft bleibt ungewiss. Der 1963 fertiggestellte Bau ist der einzige realisierte Entwurf des einflussreichen "serbischen Le Corbusier" Nikola Dobroviæ und gilt als herausragen-des Beispiel der jugoslawischen Nachkriegsarchitektur.

Dies zeigt die vergangenen Montag eröffnete Ausstellung Belgrad - Momente der Architektur im Wiener Ringturm. Nach der ersten Staatsgründung 1918 und vor allem in der Nachkriegszeit entstand in Belgrad eine faszinierend eigenständige Architektur. So wie Staatsoberhaupt Tito sich von Stalin emanzipierte und die Gemeinschaft blockfreier Staaten gründete, war auch die Architektur von der Pflicht zu Zuckerbäcker-Pomp und tristen Plattenbauten befreit. Man besann sich auf regionale und auch italienische Einflüsse. Hier im Süden des Ostblocks war man der Leichtigkeit der Adria schließlich schon immer näher als der Schwermütigkeit der Tundra.

Wie das Generalstabsgebäude mit seiner feinen Gliederung aus rotem und weißem Naturstein zeigen viele der Bauten eine handwerkliche Qualität, die sich deutlich von der durchindustrialisierten Plattenbau-Serienproduktion unterscheidet. "Belgrad ist in architektonischer Hinsicht wirklich eine Entdeckung", sagt Kurator Adolph Stiller. "Man muss nur ein bisschen suchen, man muss näher herangehen".

Im wilden, lebenshungrigen Durcheinander der Zweimillionenstadt wird die statische Stille der steinernen Denkmäler leicht übertönt, wie der einheimische Architekt und Publizist Bojan Kovaèeviæ erklärt. "Belgrad ist in Europa vor allem für seine Atmosphäre bekannt, nicht so sehr als ein Ort der dichten, geordneten Bebauung, wie sie etwa Wien aufweist."

Immerhin: Leichter gemacht wird die Suche durch die Tatsache, dass sich die meisten dieser Bauten im Stadtteil Novi Beograd finden, der ab 1948 auf ehemaligem Sumpfgelände jenseits der Save entstand. Nicht nur das elegante Hotel Jugoslavija (1961), sondern auch die ausladende Zentrale der jugoslawischen Regierung aus demselben Jahr.

Von außen eine Mischung aus geschwungenem Flughafenterminal und trutzigem Pentagon, zeigt es sich innen von weltläufiger farbenfroher Eleganz. Kein Wunder: War Titos Jugoslawien doch auf Internationalität bedacht und alles andere als isoliert. Unschwer, sich Diplomaten in Hornbrillen beim diskreten Geraune unter den riesigen abstrakten Sixties-Wandteppichen vorzustellen.

Verstummt und verstaubt

Nach dem Zerfall Jugoslawiens verstummten und verstaubten die repräsentativen Räume: Sowohl der Regierungspalast als auch das Hotel Jugoslavija stehen seit Jahren leer. In baulich tadellosem Zustand und noch original möbliert warten sie auf neue Nutzer.

Ein Stück weiter entlang der Ausfallstraße Richtung Flughafen fällt unübersehbar das markanteste Gebäude von Novi Beograd ins Auge: der Genex-Turm, bei dem es sich genau genommen um zwei Türme in brutalistischem Sichtbeton handelt, die oben durch eine Brücke mit aufgepfropftem Drehrestaurant verbunden sind. Der 115 Meter hohe Turm, der als eines der Wahrzeichen Belgrads gilt, sorgte schon zur Entstehungszeit in der internationalen Fachwelt für Aufsehen.

Fein säuberlich in nummerierte Blöcke eingeteilt, war Novi Beograd von Anfang an für die Mittelschicht gedacht, und auch heute noch ist der 300.000-Einwohner-Stadtteil als Wohnviertel beliebt und weit davon entfernt zu verslumen. Im Gegenteil: Die Mietpreise steigen. Man identifiziert sich mit seinem Wohnblock, was auch daran liegen mag, dass jeder von einem anderen Architekten gestaltet wurde, wodurch die Monotonie anderer Siedlungen dieser Art vermieden wurde.

"Der Staat war Grundeigentümer, Planer und Investor zugleich", erklärt Adolph Stiller. "Trotzdem entstand hier eine individuelle Architektur, keine Serien-Architektur wie in den Ländern des Ostblocks. In Novi Beograd spürt man noch diese Aufbruchsstimmung. Den Stolz, blockfrei, unabhängig und modern zu sein".

Und heute? Gebaut wird weiterhin, doch die Wirtschaftskrise und Serbiens außenpolitische Isolation haben die Entwicklung erheblich gedämpft. Gerade die junge Architektengeneration hat, trotz guter Ausbildung, Schwierigkeiten, an Aufträge zu kommen. Man fängt klein an, baut Wochenendhäuschen für die Familie am Stadtrand und wartet auf bessere Zeiten. Dass zumindest in der Theorie die Isolation längst aufgehoben ist, zeigt die Belgrade Architecture Week, die seit 2006 jährlich stattfindet und mit internationaler Stararchitekten-Beteiligung aufwarten kann.

Auch Wiener Architekten mischen wieder mit: So gewann Boris Podrecca 2007 den Wettbewerb für das Museum für Wissenschaft und Technik. Die Realisierung ist jedoch so ungewiss wie die Zukunft der oft unpopulären alten Regierungsgebäude.

"Erst muss ein Bewusstsein für die internationale Bedeutung dieser Bauten geschaffen werden", sagt Stiller. Dass sich die Tore zur EU nun immer weiter öffnen, könnte auch ein Hoffnungsschimmer für die serbischen Corbusiers sein.  

(erschienen in:  DER STANDARD,  23./24.7.2011)