Alpenkühn

Pur, klar und respektvoll gegenüber der atemberaubenden Bergkulisse: Die Meisterwerke zeitgenössischer Kellerei-Architektur in Südtirol verkünden das Ende des Jodelstils. Traditionsbewusst sind sie dennoch.

Der Beruf des Kellermeisters muss wohl einer der beneidenswertesten der Welt sein: Ein Alchimist des Genusses, der aus Wurzel, Rebe, Boden und Klima mit feinfühligem Forscherwissen hier optimierend, da probierend, ein perfektes flüssiges Resultat destilliert. Ganz ähnlich der Architekt. Auch sein Werk ist – im Idealfall – ein harmonisches Ergebnis der Landschaft und des Klimas, an dem es entsteht. Beide nützen die Gesetze von Mechanik, Chemie, Physik und Biologie, um die Haltbarkeit und Reife ihres Werkes zu vervollkommnen.

Folglich müssen Kellermeister und Weingutbesitzer die idealen Kunden des Architekten sein. Zumal die Traube auf ihrem Weg zum Wein eine ganze Abfolge von Räumen durchläuft, die ihre eigenen Anforderungen haben an Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Kein Architekt, der bei einer solchen Aufgabe nicht genüsslich mit der Zunge schnalzt.

Tatsächlich ist die erstaunliche Entwicklung, die der Weinbau in Südtirol in den letzten Jahrzehnten zurückgelegt hat, Hand in Hand mit einem Aufblühen der Baukunst gegangen. Wo die neue Winzergeneration von Quantität zu Qualität umgeschwenkt ist und heute die richtige Rebe dem richtigen Boden zuordnet, statt wie früher fast schon wahllos auszubauen, hat sich ein weiterer Wandel vollzogen: In einer Region, in der früher Hotelburgen hochgezogen wurden, pflegen Architekten nun einen respektvollen Umgang mit der Landschaft und greifen vor Ort auf Materialien aus lokaler Produktion zurück. So ist Südtirol zu einem Magneten für Wein- wie Architekturbegeisterte gleichermaßen geworden.

Alles begann 1981, als der Winzer Alois Lageder Besuch von der amerikanischen Weinbaulegende Robert Mondavi bekam. Der fragte ihn, warum die Südtiroler mit ihren hervorragenden Böden so nachlässig umgingen. Der derart wachgerüttelte Lageder wurde zum Pionier – nicht nur im Weinbau, sondern auch in der Architektur. Sein 1995 von den Bozner Architekten Abram & Schnabel entworfener Bau ist in puncto Weinverarbeitung und Baukunst ein wahres Innovationslabor. Dabei ist es im labyrinthischen, wie aus einem einzigen Stück Stein gehauen wirkenden Dorfkern von Margreid leicht zu übersehen. Hinter dem Torbogen eines Gehöfts aus dem 11.Jahrhundert versteckt, verrät der simple steinerne Sockelbau nicht, dass unter ihm ein Weinkeller tief in den Berg greift, dessen rohe Felswände sichtbar gelassen wurden. Im Kontrast dazu ist der auf dem massiven Sockel sitzende Verwaltungstrakt mit seiner Holzbaukonstruktion von einfacher Leichtigkeit, und löst mit Photovoltaikflächen und einem baubiologisch ausgeklügeltem Wintergarten den Anspruch auf energetische Nachhaltigkeit ein.

Ein ebensolches Gesamtkunstwerk, noch radikaler und fast noch leichter zu übersehen, findet sich im Weingut Manincor, in prachtvoller Aussichtslage über dem Kalterer See. Michael Graf Goëss-Enzenberg, stellte das 400 Jahre alte Weingut auf Biodynamik und Selbstkellerung um, nachdem er den Familienbesitz 1991 übernommen hatte. Um den dafür benötigten Raum zu schaffen, lud er den Kalterer Architekten Walter Angonese ein, für drei Jahre sein Büro im Keller des Anwesens aus dem Jahre 1608 aufzuschlagen und exklusiv für ihn zu arbeiten. Ein perfektes Team: Der in einem Weinbetrieb aufgewachsene Walter Angonese wollte ursprünglich Önologe werden, der Graf wiederum hatte immer vom Leben als Architekt geträumt.

Die einzigartige Landschaft sollte durch den Neubau nicht gestört werden, also ging man auch hier in die Tiefe: Rund 35.000 Kubikmeter Hang wurden ausgehoben, der Weinkeller tief in den eiszeitlichen Schuttkegel hineingebaut und danach die Oberfläche im Originalzustand inklusive Weinreben sanft wiederhergestellt. Die intensive Vor-Ort-Arbeit von Architekt und Bauherr spürt man überall; sachlich und sakral zugleich strahlen die Materialien Sichtbeton und Stahl in kraftvoller Rauheit, jedes Detail ist genau durchdacht. Dass die Weine in diesem kantigen Raumgefüge perfekt klimatisiert ihre feine Leichtigkeit entwickeln dürfen, dafür sorgt eine umlaufende Fuge zwischen Keller und Berg, die von selbst die optimale Luftfeuchtigkeit fabriziert – geheimnisvoll-archaischer Schattenraum und natürliche Klimaanlage in einem.

Nur an zwei Stellen zeigt sich der Neubau nach außen: Ein schmaler Verkaufspavillon aus Holz wurde dem Gehöft diskret zur Seite gestellt und verweist auf die Eichenwälder, aus denen die Barrique-Fässer entstehen. Ein Stück hügelabwärts lugt der Verkostungsraum scharfkantig aus dem Kellerlabyrinth und durch die Reben hindurch und gibt den weiten Panoramablick über den See nach Süden frei.

Walter Angonese gelang nicht nur hier ein erstklassiges Stück Architektur – ihm kommt der Verdienst zu, fast im Alleingang den durcheinandergewürfelten Touristenort Kaltern baukulturell in die oberste Liga gehievt zu haben. Einer seiner vielen ehemaligen Mitarbeiter, die es ihm gleichtun, ist Markus Scherer, der einige Kilometer weiter nördlich die Kellerei der Genossenschaft Nals-Margreid entwarf. Die Aufgabe, die 120 Winzer und die Erträge ihrer 130 Weinberge erstmals unter einen Hut zu bringen, löste er einfach und überzeugend: Der schlicht-edle Kubus aus weinrot gefärbtem Beton, der den Kellerturm beherbergt, lässt sein Dach als vereinigende Geste weit Richtung Tal auskragen, ohne sich durch ungehörige Massivität aufzudrängen.

Direkt neben der Nalser Dorfkirche ist so ein Schaufenster für den gemeinschaftlichen Stolz der Weinbauern entstanden. Pragmatisches, ausgeklügeltes High-Tech im Inneren, eine Hülle aus Beton, Holz und Stahl als bildhaftes Zeichen nach außen. Das Herzstück ist das Barrique-Lager, das mit Tragstruktur und Hülle aus Eichenholz unter das schützende Flugdach gestellt wurde. Dazwischen bietet noch eine Aussichtsterrasse bis zu 400 Gästen Platz, die beim sinnierenden Weinglasschwenken nun weit über Tal und Reben blicken können.

Von hier erspäht man auch die Kellerei Terlan auf der Ostseite des Etschtals. Deren außerordentlich langlebige Weißweine haben ein hervorragendes Renommée; steigende Exporte führten zu einem größeren Raumbedarf. Die einheimischen Architekten Trojer & Vonmetz gingen dabei feinfühlig, fast unsichtbar, zu Werk. Aus dem tiefen Keller des Altbaus schlüpft der Besucher durch ein aufgeschnittenes Betonfass in den unterirdischen Neubau und in dessen heiligste Halle, den Porphyrkeller. Mal grob, mal fein behandelt, aber immer präzise aneinandergefügt, kleiden hier quarzrot glimmende Platten den Raum aus. So erzählt die Architektur die Geschichte des Terroir und wird zum atmosphärischen Lehr- und Erlebnispfad. Steigt man wieder ins Tageslicht empor, schließt sich der Kreis mit einem Schau-Weingarten, der auf das Dach der neuen Halle gepflanzt worden ist.

Weit weniger diskret präsentiert sich eines der auffälligsten Beispiele der neuen Südtiroler Weinarchitektur: Die Kellerei Tramin im gleichnamigen Ort, der Heimat des Paradeweins namens Gewürztraminer. Das behäbige alte Gebäude aus den Siebzigerjahren war für die stolze Genossenschaft zu klein geworden, zudem lag der Verkaufsraum kaum sichtbar unter Straßenniveau. Ganz anders heute: Zwei Arme wachsen aus dem Altbau heraus, dem Besucher entgegen, beide von einem froschgrünen Geflecht aus breiten Stahlprofilen umhüllt, das an verzweigte Weinblätter erinnern soll. Markant, eigenwillig und ein bisschen eckig - genau wie der Gewürztraminer. So gelang Architekt Werner Tscholl nicht nur ein weithin sichtbares Aushängeschild, er schaffte es auch, alle Arbeitsabläufe so kompakt zu bündeln, dass keiner der angrenzenden Weinberge geopfert werden musste.

Dass es auch ohne Analogien zu Rebe und Boden geht, zeigt ein radikal minimalistischer Raum ganz im Süden der Weinstraße, am Ortsausgang von Margreid. Hier hat sich Armin Kobler nach Jahren in der Weinforschung mit Entschlossenheit und viereinhalb Hektar Weinbergen selbständig gemacht. Den Verkostungsraum des kleinen Weinguts haben die Architekt Theodor Gallmetzer und Lukas Mayr konsequent für den Einmannbetrieb maßgeschneidert. Er ist wie eine Box hineingeschoben ins Erdgeschoss des alten Koblerschen Wohnhauses: Ein einziger, schlichter Raum für den Wein, komplett in Weiß gehalten – inklusive Mobiliar. Nichts soll hier vom Genuss ablenken, es herrscht eine fast japanische Strenge als Rahmen für die im Glas schimmernden Merlots und Pinot Grigios. Ebenso simpel und effektiv ist die Glasfront, die sich komplett im Boden versenken lässt. Der Weinraum samt Tisch erweitert sich dann hinaus in die Gärten und Reben.

Vielleicht ist im Kleinen wie im Großen genau dies das einfache Geheimnis des Erfolges der Südtiroler Wein- und Architekturrenaissance: Die respektvolle und feinfühlige Verbindung mit der Landschaft.

(erschienen am 5.4.2012 in "LEBENSART: Das Südtirol Magazin" als Beilage der ZEIT)

 

www.aloislageder.eu

www.manincor.com

www.kellerei.it

www.kellerei-terlan.com

www.kellereitramin.it

www.kobler-margreid.com