Ob zur Schul- oder zur Ferienzeit: Eine Fülle von Initiativen hat das Ziel, Heranwachsenden die Architektur nahezubringen. Ein Überblick.
Sie sind gewiefte Statiker und balancieren Klotz auf buntem Klotz, bewehren beim Strandburgbau in Jesolo den Mörtel mit strategisch platzierten Muscheln und Seetang, jonglieren bei Sim City am Bildschirm mit Immobilien und Stadtplanung. Kinder haben's eigentlich drauf, was Architektur angeht, wenn diese als Spiel daherkommt. Aber wie sieht es mit der Realität aus, dem gebauten Alltag der Heranwachsenden? Wie gehen Kinder mit Architektur um, und wie die Architektur mit ihnen?
Freiraum mit Zubehör
Zum Spielen in der Stadt braucht ein Kind nicht viel: einen halbwegs ungestörten Freiraum mit etwas Zubehör. Zwei Bäume sind das Tor zum Indianerversteck, die Garage das Raumschiff, der Gehweg die Rennstrecke oder nach spontaner Laune sofort etwas völlig anderes. Räume für die Welten, die in den kleinen Köpfen entstehen. Den Planern hingegen scheint auf den ersten Blick nicht mehr einzufallen, als streng genormte Spielplätze mit traurigem Wippgeflügel zu möblieren, das außer bunt sein und wippen nichts kann.
Planen und denken Architekten und Kinder also über- und untereinander hinweg? Keineswegs. Nicht nur der im März dieses Jahres publizierte Baukulturreport des Bundeskanzleramts setzt die Vermittlung von Architektur und Baukultur ganz oben auf die Prioritätenliste - eine ganze Reihe von engagierten Initiativen bemüht sich seit langem, den Kleinen und Mittelgroßen spielerisch und informativ nahezubringen, worum es beim Bauen geht, und herauszufinden, was ihnen in ihrer von Erwachsenen gestalteten Umgebung fehlt.
Den eigenen Einfluss bestimmen
In der Steiermark betreut das Kinderbüro Graz schon seit 15 Jahren in Kooperation mit dem Architekturportal GAT unter dem Namen KinderGAT Workshops an Schulen und im öffentlichen Raum wie etwa bei der Umgestaltung der Annenstraße. "Architekturvermittlung ist wichtig, damit Kinder sich über ihr Wohnumfeld artikulieren und ihre Wahrnehmung schärfen. Dass sie formulieren können, was sie dort haben wollen", erklärt Monika Zachhuber vom Kinderbüro die Motivation.
"Es geht darum, dass Kinder herausfinden, wie groß der eigene Einfluss sein kann. Die Vermittlung von Architektur kann ihnen einen kritischen Zugang nahebringen, ihnen verständlich machen, dass sie nicht alles hinnehmen müssen", stimmt Eva Guttmann, Direktorin des HDA (Haus der Architektur) in Graz, zu. Das HDA hat seine inzwischen fest etablierten, unter dem saloppen Namen "Häuser schaun" firmierenden regelmäßigen Architekturexkursionen Anfang 2012 um "Häuser schaun junior" ergänzt. Einmal im Monat gibt es Workshops für Sechs- bis 14-Jährige mit wechselnden Schwerpunktthemen - dieses Jahr zum Thema Stadt.
An- und begreifen
In Villach schloss sich eine Gruppe von Architekten und Pädagogen Ende 2006 zum Verein "Architektur Spiel Raum Kärnten" zusammen, der monatliche Workshops anbietet und Schulen und Kindergärten hilft, die Welt des Planens und Bauens in die Klassenzimmer zu bringen.
In Tirol hat sich mit der "Kunschtschule" ein wöchentliches Workshop-Angebot entwickelt, in dem auch das tatkräftige Forschen in der Architektur einen Platz findet - bis hin zum Bau von eigenen coolen Designersesseln. Ebenfalls in Innsbruck bietet das a.u.t (Architektur und Tirol) Programme für die Kleinen und die ganz Kleinen.
Zuerst der pure Spaß am Basteln, später Zeichnen und Skizzieren, wie richtige Architekten es tun: Der Weg geht bei allen Initiativen vom Angreifen zum Begreifen.
Zwischen Stephansdom und Parlament
"Bei den Kleinen muss man weniger reden, mehr machen. Durch das Bauen mit eigenen Händen lernt man einfach besser", sagt Christine Aldrian-Schneebacher von Architektur Spiel Raum. "Wir haben sogar regelrechte Stammkunden, die sich schon zu kleinen Architekturexperten entwickelt haben."
In Wien bietet neben vielen anderen Initiativen das Architekturzentrum die breiteste Palette. Im AzW baut man seit 2001 das Programm für Kinder kontinuierlich aus. 2011 waren es schon 10.000 kleine Besucher, ihnen zur Seite stehen 15 Betreuer aus unterschiedlichen Disziplinen. Ausstellungsführungen, Jugendklubs, Workshops, Kooperationen mit Schulen.
Es gibt schließlich einiges zu vermitteln: "Wenn wir Kinder fragen, was Architektur ist, sagen sie meistens Stephansdom und Parlament. Aber dass auch die eigene Schule, die eigene Wohnung Architektur sind und nicht unbedingt so aussehen müssen, wie sie aussehen, ist ihnen gar nicht so bewusst", sagt Alexander Pirker vom AzW.
Vor allem für die Älteren gibt es zahlreiche Angebote, in den Architektenberuf hineinzuschnuppern und jungen Architekten in ihren Büros über die Schulter schauen. "Die Jugendlichen haben oft nur ein vages und erstaunlich traditionelles Bild davon, was ein Architekt macht. Sie sind dann erstaunt, wie viel am Computer entsteht", sagt Alexander Pirker.
Skizzieren und schaukeln
In Kärnten konnten Kinder ein ganzes Jahr in der Gruppe an einem Projekt arbeiten - Konflikte und Kompromisse inbegriffen, ganz wie bei den Erwachsenen. Und dass bei Architekten die meisten Skizzen im Papierkorb landen, müssen auch Nachwuchsentwerfer erst lernen.
Dabei ist die Vermittlung keine Einbahnstraße: Es wird gefragt und hingehört, was Kinder wollen. Nämlich? "Mehr Bäckereien und Eisgeschäfte!", lacht Monika Zachhuber. "Viele denken, dass sich Kinder nur Absurdes wünschen, aber es sind oft ganz einfache Dinge. Schönere Fassaden, mehr Grün, mehr Plätze, auf denen man sich treffen kann. Aber natürlich kann es auch sein, dass sie sich eine Riesenschaukel zwischen zwei Häusern wünschen."
Die erste intensive Erfahrung von Architektur ist für Kinder meist die eigene Schule. Fast alle Initiativen sind hier tätig, unterstützen Lehrer oder unterrichten selbst.
Mehr als nur "Mah, schiach!"
Doch auch in der Ferienzeit gilt: keine Handbreit der baukulturellen Langeweile! Am AzW kann im Juli mit LEGO gebaut und im August die Stadt von morgen erträumt werden. Am Grazer Margeretenbad gibt es eine ganze Ferienstraße, und in Innsbruck wird an der Sommerakademie des a.u.t. das Museum am Bergisel zeichnend und bastelnd untersucht, und während der "Kunschtsommerwoche" allen Ideen freien Lauf gelassen.
Ob die Kleinen später selbst Architekten und Planer werden oder nicht: Wenn sie mündige Bürger werden, denen zu Häusern mehr als ein achselzuckendes "Mah, schiach!" einfällt, ist schon viel gewonnen. Und, wer weiß: Vielleicht schwingt eines Tages doch irgendwo eine Schaukel über die Straße.
(erschienen in: Der Standard, 30.6./1.7.2012)