Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt zeigt die Bauten von Paul Bonatz, einem Grenzgänger zwischen Monument und Moderne
Wenn ein Architekt einen Plan zeichnet, dann tut er das in der Regel aus zwei Gründen: entweder als Träger der reinen Information, wie etwas auszusehen habe, oder aber, um andere von der eigenen Idee zu überzeugen - Werbung in eigener Sache. Viel seltener passiert es, dass so ein Plan Träger emotionaler Botschaften wird, erst recht, wenn es sich bei dieser Emotion um Zweifel und Frustration handelt.
Es gibt einen Plan, der eine solche Geschichte erzählt, und sie geht so: Im Jahre 1939 ist der Architekt Paul Bonatz mit 62 Jahren nicht mehr der Jüngste. Er hat eine lange, erfolgreiche Karriere hinter sich, die nahezu bruchlos drei deutsche Staatsformen umfasst: Monarchie, Republik und Diktatur. Er hat von allen Seiten Anerkennung und Kritik erfahren, sein wuchtiger Stuttgarter Hauptbahnhof gilt als Wegbereiter der deutschen Moderne.
Auch im Dritten Reich stand seine reduzierte, präzise Monumentalität bald hoch im Kurs. Er ist federführend am Autobahnbau beteiligt, alle Brücken werden nach seinen ästhetischen Vorgaben errichtet. Halb scherzhaft bezeichnet er sich als "Pontifex maximus" des Reiches.
Babylonische Vorhaben
Seine ungefragten Verbesserungsvorschläge für ein Projekt von Hitlers Lieblingsarchitekten jedoch sind beim Führer auf entrüstete Ablehnung gestoßen. Ein Platz in der ersten Reihe der Architekten ist ihm seitdem verwehrt. Als zweiter Mann neben Hermann Giesler, dem Leiter der Hitler'schen Großprojekte, plant er nun den neuen Münchner Hauptbahnhof. Giesler ist ehrgeizig, seine Kuppel muss die des Rivalen Albert Speer in Berlin übertreffen. 285 Meter Durchmesser sollen es sein - die größte bestehende Kuppelbau zu dieser Zeit kommt nicht einmal auf ein Viertel.
Bonatz zeichnet also die gigantische Kuppel. Eine monströse Banalität. Und dann zeichnet er noch flüchtig, ganz rechts im Eck, wie von einem Drang übermannt, seinen eigenen Bahnhof in Stuttgart hin, der sich dagegen wie eine winzige Fußnote ausnimmt. Die Dimension der "babylonischen Vorhaben" ist jetzt auch ihm zuwider geworden.
Der Plan mit den zwei Bahnhöfen ist Teil der großen Bonatz-Retrospektive, mit der das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt letzte Woche nach zehnmonatiger Umbaupause wieder eröffnet hat. "Wie Goethes Zauberlehrling hat Bonatz an diesem Punkt erkannt, wie monströs das geworden ist, was er geschaffen hatte", sagt Kurator Wolfgang Voigt. "Doch die Skizze blieb bei ihm in der Schublade. Die Kritik war also folgenlos."
Vom Vorwurf des Opportunismus kann Bonatz also auch heute nicht freigesprochen werden. Seine "Flucht vor dem Wahnsinn" 1944 ins türkische Exil kommt zu spät, um ihn noch als Regimegegner durchgehen zu lassen. Seine alten Kollegen wiederum nahmen ihm übel, dass er es sich in Istanbul gutgehen ließ, während sie sich in den Ruinen des Nachkriegsdeutschlands entnazifizieren lassen mussten.
Ein Pragmatiker zwischen den Stühlen - das ist das Bild, das sich durch die Stationen seines Arbeitslebens zieht. Geboren 1877 in Lothringen, sprachlich und kulturell sowohl im Deutschen als auch im Französischen zu Hause, galt er zeitlebens als liberaler Kosmopolit.
Nicht alle meinten dies schmeichelhaft. Für die Verfechter einer nationalen Baukunst war "Kosmopolit" ein Schimpfwort. Wer seine Anregungen im Ausland suchte, war ihnen nicht "völkisch" genug. Die Formensprache seines Stuttgarter Hauptbahnhofs erachtete die Wettbewerbsjury damals als "befremdlich". Bauen durfte er ihn trotzdem.
Kathedrale der Technik
Dass ihn der Besuch von Moscheen eine Ägyptenreise 1913 danach noch mehr zur Reduktion seines Entwurfes auf monumentale Kuben und den hohen Torbögen der Schalterhallen inspirierte, wie Bonatz' Reiseskizzen zeigen, ist eine aufschlussreiche Pointe. Das Sakrale dieser "Kathedrale der Technik" bliebe auch den Zeitgenossen nicht verborgen.
Der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg bezeichnete den Bahnhof fasziniert als "Tempel eines unbekannten Kultus, in dem die Liturgie vom Fahrplan bestimmt wird". Selbstverständlich nimmt dieses Hauptwerk auch in der Frankfurter Ausstellung eine zentrale Position ein.
Der Diskussion um Stuttgart 21 kann man sich auch hier nicht ganz entziehen, wenn auch, wie man beim DAM betont, die Gleichzeitigkeit mit den Bürgerprotesten um den Teilabriss des Bahnhofs Zufall ist. "Aber natürlich ist das ein Glück für uns", sagt Wolfgang Voigt.
Angesichts des enormen Echos in der Presse und den zahlreichen Stuttgartern, die gekommen waren, um sich neue Munition für ihre Argumente zu holen, konnte man in Frankfurt die klammheimliche Freude, den richtigen Zeitpunkt getroffen zu haben, bei der Eröffnung kaum verhehlen. Umso mehr, als die Stuttgarter Museen selbst bezeichnenderweise einen großen Bogen um das Thema gemacht hatten.
Für weitere Debatten ist also gesorgt. Nicht zuletzt, weil monumentale Architektur in Deutschland noch immer mit spitzen Fingern angefasst wird. Die Moderne galt nach dem Krieg als Zeichen einer offenen, demokratischen und internationalen Haltung. Paul Bonatz' Kritik an den modernen Träumen der Zwanzigerjahre ist ihm bis heute nie ganz verziehen worden.
Dabei hatte er noch 1933 die von den Nazis als "Araberdorf" verachtete Weißenhofsiedlung verteidigt. "Für Bonatz war es kein Widerspruch, Moderne und Monumentalität zu verbinden", sagt Voigt. Dies tat er bis an sein Lebensende. In der Türkei kehrte er zu seinen orientalischen Einflüssen zurück, baute etwa das vergleichsweise leichtfüßige Opernhaus in Ankara. Die letzte von ihm geplante Brücke wurde erst lange nach seinem Tod fertiggestellt: Sie überspannt heute den Bosporus zwischen Ost und West.
(erschienen in DER STANDARD, 29./30. 1.2011 > Originaltext)