Eine Ausstellung in der Galerie Westlicht zeigt mit dem Archiv des Fotostudios Simonis einen einzigartigen Querschnitt durch die feine Wiener Gesellschaft der Nachkriegszeit
Als Christof Stein vom Design- und Antiquitätengeschäft Lichterloh 2005 im Auftrag des Dorotheums die Studios des soeben in Konkurs gegangenen Ateliers „Photo Simonis“ in der Währinger Straße 12 besichtigte, kam er aus dem Staunen nicht heraus: Er fand Kulissen mit Stephansdom- und Riesenradmotiven aus den 1950ern; hier waren offenbar alle Requisiten seit Jahrzehnten konserviert worden. Doch das war noch nicht alles. Als ihn die 85-jährige Rosalia Waringer, Lebensgefährtin und Alleinerbin des Firmeneigners Heinz Simonis, ins Archiv führte, sagte sie entschlossen: „Und das, das müssen’s alles vernichten!“
„Das“ waren Hunderte von Abzügen und mehrere 100.000 Negative aus der Geschichte des 1917 gegründeten Unternehmens. Auf Nachfrage des fassungslosen Christof Stein gab die alte Dame an, sie wolle mit der Geschichte ein für alle Mal abschließen. Die komplette, mit Erinnerungen behaftete Fotoausrüstung lag bereits im Dorotheum zur anonymen Versteigerung bereit, vor allem aber befürchtete sie eine Welle von Urheberrechtsklagen, sollten aus dem Archiv Fotos von Privatleuten veröffentlicht werden. Frau Waringer blieb standhaft: „Ich möchte dabeistehen, wenn Sie das in den Container werfen!“
Stein, der mit Lichterloh schon Schätze wie das Mobiliar des Café Museum gerettet hatte, gab nicht nach und verhandelte weiter. Viel Zeit blieb nicht, denn die Räumlichkeiten mussten binnen weniger Tage besenrein übergeben werden. Dass Photo Simonis die offiziellen Porträts aller Bundespräsidenten von Karl Renner bis Kurt Waldheim angefertigt hatte, war bekannt; bei einer Quersichtung erwies sich das Fotoarchiv zudem als komplette Dokumentation des österreichischen Who’s who und der bürgerlichen Gesellschaft der Nachkriegszeit – ein kulturhistorisches Dokument von unschätzbarem Wert.
Rettung in letzter Minute
Stein rief nun die Österreichische Nationalbibliothek und die Fotogalerie Westlicht zu Hilfe. „Denen ist der Hörer aus der Hand gefallen“, erinnert er sich. Gemeinsam wurde die Erbin in letzter Minute überzeugt, das gesamte Archiv vertraglich abgesichert der Nationalbibliothek zu übergeben. Die Sammlung von Prints, Negativen und der penibel geführten Buchhaltung füllte sieben Lkw-Ladungen. Nach Sichtung und Katalogisierung wird nun – fünf Jahre später – eine Auswahl der Bilder in einer Ausstellung und dem dazugehörigen Katalog der Öffentlichkeit präsentiert.
Photo Simonis war in Wien ganz und gar kein Unbekannter. Wer in den 60er- und 70er-Jahren Teil der bürgerlichen Gesellschaft war oder sein wollte, kam um einen Besuch bei ihm nicht herum, sei es für Hochzeits-, Bewerbungs- oder Familienfotos. Die aufwändigen Schaukästen in der Währinger und Alserbachstraße sowie vor dem Hotel Bristol mit ihren regelmäßig wechselnden Miniausstellungen von staatstragend abgelichteten Prominenten prägten die Idealgesichter der Nachkriegszeit und machten für alle den Standard sichtbar, den es zu erreichen galt, wenn man in der Aufstiegsdynamik der jungen Republik Karriere machen wollte.
„So wie man in die Tanzschule ‚zum Elmayer‘ ging“, erklärt Ausstellungskurator Uwe Schögl von der Nationalbibliothek, „ging man für Porträts ‚zum Simonis‘. Hier war ganz Döbling Kundschaft. Ganz Österreich ist mit Simonis aufgewachsen – er prägte das ästhetische Empfinden der Zeit, auch weil er in so vielen Medien präsent war.“ So fanden sich Simonis-Porträts nicht nur in Form von huldvoll auf Schulklassen herabblickenden Staatsoberhäuptern, auf Wahlplakaten und auf Autogrammkarten von Burgschauspielern.
Gegründet wurde das Atelier 1917 von Julius Simonis, der sich schon früh am weltweit geltenden, von Hollywood geprägten Stil orientierte, dem das Studio auch bis weit in die Nachkriegszeit treu bleiben sollte. Schnell hatte er den Ruf, jedes Gesicht verschönern zu können – durch manchmal aufwändigste Retuschen und Weichzeichner konnte jeder Kunde einen Abglanz vom entrückten Hollywood-Glamour erhaschen. Dass Julius Simonis bereits im Ersten Weltkrieg SPÖ-Mitglied geworden war, förderte seinen Erfolg ebenso wie die Lage des Ateliers in der Nähe der politisch-gesellschaftlichen Elite in der Innenstadt und der medizinischen Fakultäten am Alsergrund, wo man seine Dienste gern in Anspruch nahm.
Kreiskys Kinn
Nach dem Krieg begann die Glanzzeit des Ateliers: Als einer der ersten Fotografen, die mit Farbe arbeiteten, porträtierte er kirchliche Würdenträger wie Kardinal Franz König in leuchtend-heroisierendem Kardinalsrot, das an Renaissancemaler wie Tizian und Tintoretto erinnerte. Noch malerischer wirkte der Umgang mit verschönernden Maßnahmen, als Heinz Simonis nach dem Tod des Vaters 1960 die Leitung übernahm. In der Retuscheabteilung wurden Fotos in tagelanger Detailarbeit mit Bleistiften ins Makellose korrigiert. „Die Chefin der Retusche war eine ungarische Varieté-Kunstpfeiferin, die hat über acht bis neun Stunden wie ein Lercherl gepfiffen“, erinnert sich der Fotograf Christian Skrein, der in den 60ern bei Simonis in die Lehre ging.
Gut möglich, dass es diese Dame war, die 1956 Bruno Kreisky das bereits in jungen Jahren ausufernde Doppelkinn dauertirilierend entfernte.
Kunden von Rang und Namen wurden jedoch nicht nur retuschiert, sondern auch geschminkt, und zwar ausschließlich von Heinz Simonis selbst – ein weiterer ästhetischer Rückgriff auf das Hollywood der 20er-Jahre. Mehr noch als sein Vater war er bestens eingebunden in die Netzwerke von Politik und Gesellschaft und selbstverständlich auch mit einem temporären Fotostudio auf dem Opernball präsent. Parteipolitisch kannte er – trotz SPÖ-Mitgliedschaft – keine Scheu, so fertigte er zum Wahlkampf 1966 von den Kandidaten aller Parteien die offiziellen Porträts an und präsentierte sie stolz in seiner Auslage. Als darauf das Foto des KPÖ-Kandidaten Franz Muhri mehrmals bespuckt wurde, reinigte er das Glas und ließ sich nicht weiter beirren.
Dieselbe professionelle Gelassenheit zeigte er auch während der Porträtaufnahmen: Sowohl ein äußerst schlecht gelaunter Hans Moser (bei den letzten Aufnahmen vor seinem Tod) als auch ein Bundespräsident Schärf, der kurz nach der Sitzung zum zweiten Mal antreten musste und knurrte „Mach ma halt noch ein Foto!“, wurden in weichgezeichneter Heiterkeit dargestellt.
Typisch für diesen Stil der Darstellung ist die auffallend geringe Tiefenschärfe, die lediglich das Gesichtsfeld und die Augen deutlich zeichnet, während der Rest in mildem, allseitigem Licht verschwimmt – ein Prinzip, das der Filmregisseur Robert Dornhelm als „Licht ohne Schatten“ bezeichnet. „Man kann wohl vom Zelebrieren der großen Lüge sprechen“, urteilt Dornhelm, „die meisten Leute wollen sich von der Sonnenseite präsentieren – dass das nur die Oberfläche war, die mit der Person selbst nicht viel zu tun hatte, war sekundär. Und Simonis hat diese Wünsche voll erfüllt.“
Der einzementierte Status
Anstatt zu psychologisieren und zu individualisieren, sollte der gewünschte Status einzementiert werden. Ein Paradebeispiel dafür waren Hochzeitsfotos – hier führte in den 60ern an Simonis kein Weg vorbei. Zeitweise wurden sie am Fließband produziert: sechs Standardmotive in 15 Minuten, dann wurde schon das nächste Aufgebot ins große „Einser-Atelier“ gebeten. Bisweilen blieben die Abzüge dann Monate und Jahre liegen, weil sich weniger Wohlhabende den teuren Simonis kaum leisten konnten.
„Simonis stand als Einziger genau zwischen künstlerischer und kommerzieller Fotografie“, erklärt Kurator Schögl. „Er hat sich durchaus auch für künstlerische Strömungen interessiert und hat sofort nach ihrer Gründung 1970 die Fotogalerie ‚Die Brücke‘ am Fleischmarkt besucht – die erste auf dem Kontinent. Seine Arbeit hat das aber kaum beeinflusst.“
Die Künstlichkeit sollte sich aber bald als Nachteil erweisen – in den 70ern verlangte man zunehmend nach Außenaufnahmen, die man mit leistbar gewordenen Kameras gleich selbst anfertigte. Die zeit- und kostenaufwändigen artifiziellen Studioporträts Marke Simonis galten nun als altmodisch; gleichzeitig entfernten sich künstlerische und kommerzielle Fotografie voneinander. Auch das zweite Standbein brach weg, als sich Politiker eigene Stäbe an Pressefotografen aufbauten und Simonis nur noch bei offiziellen Anlässen zum Zuge kam.
Kurt Waldheim und Franz Vranitzky waren schließlich die letzten porträtierten Staats- und Regierungschefs. Als Heinz Simonis 1985 starb, war seine Ära bereits zu Ende gegangen.
Im öffentlich einsehbaren Archiv der Nationalbibliothek (mehrere hundert Bilder werden nach und nach digitalisiert und online einsehbar sein) und in der Ausstellung lässt sich ihr schöner weichgezeichneter Schein jetzt noch einmal erleben.
(erschienen in FALTER 24/2010)