Die große Bilderflut: Der Renderwahn vor der Wien-Wahl

Vor der Wien-Wahl ist der öffentliche Raum eines der wichtigsten Spielfelder im Wahlkampf, die Parteien überbieten sich in Visualisierungen begrünter und behübschter Straßen und Plätze. Wie kommt so etwas zustande? Eine szenische Spekulation.

Die Mariahilferstraße machte den Anfang. Die anfangs umstrittene Verkehrsberuhigung wurde zur Blaupause für eine ganze Reihe an Fußgänger- und Begegnungszonen. Doch niemand hätte vor fünf Jahren erwartet, dass im Wahljahr 2020 unter nahezu allen Parteien ein Ideenwettstreit um die Umgestaltung von Straßen und Plätzen entbrennt, der in einer wahren Flut sich verdächtig ähnelnder Visualisierungen kulminiert. Wir haben hinter die Kulissen dieser Bildproduktion geschaut, heimlich gelauscht und ein nicht vollständig ernstes Dramolett mitgeschrieben.

 

Parteizentrale 1. Konferenzraum.

Chef, die neuen Visualisierungen sind da!

Sehr gut, das macht das wöchentliche Dutzend voll. Was hamma da? „Superblock“? Was is des?

Ein Konzept aus Barcelona. Dort werden mehrere Blocks zusammengefasst und verkehrsberuhigt.

Und die, die am Rand wohnen, haben dann noch mehr Verkehr vor dem Haus?

Äh, ja, aber…

Egal, die Büdln san gut, und „Barcelona“ hat einen guten Sound: Mediterran, Lebensfreude, passt. Aber „Block“ wird die Message Control nicht mögen, das klingt zu hart. Nicht vergessen: Wir brauchen nicen Content, um unsere Target Group zu embracen! Harmonie ist unser Key Asset!

Was, wenn wir Katzen, Schafe oder Hunderl reinvisualisieren? Wir haben noch die Bilddatenbank „Sympathische Tiere“ von der Nationalratswahl 2013.

Tiere sind over! Wir nennen es nicht Superblock, sondern Supergrätzl! Und macht’s schön viele Bäume in die Renderings. Und dann gebt’s das gleich runter an die Instagram-Abteilung!

 

Parteizentrale 2. Think-Tank.

Depperte Pop-Up-Radwege, depperte! Da hamma den Leuten jahrzehntelang das Auto als Gipfel des Wohlstands versprochen, und jetzt solln‘s mit‘m Radl umanand fahren?

Eh, aber unsere strategischen Kommunikationsberater sagen, wir brauchen mehr Grün. Die Initiative „Platz für Wien“ ist mit ihren Forderungen nach mehr Platz für Fußgänger und Radler so populär, dass wir unsere strategy adapten müssen. Wir brauchen mehr Public Space Content mit Visual Impact!

Na servas. Entsiegelung und Cooling machen wir eh auch, und tägliche Fotos von der Stadträtin auf der Gasse und auf dem Feld, was wollen’s denn noch?

Die Partei 1 haut 10 Renderings pro Woche ausse. Wir müssen reagieren! Wozu haben wir denn ein Werbebudget von (draußen fährt ein abbiegeassistentenfreier LKW vorbei und übertönt die Zahl) Millionen?

Na gut. Was hamma denn im Archiv?

Die Idee für die Markthalle am Naschmarkt 2014, an die erinnert sich niemand mehr.

Passt, schieb ma sie zum Flohmarkt rüber, dort, wo die Partei 1 ihren Park machen will. Aber wir brauchen noch was Internationales, a Referenz. Die anderen haben grad mit Barcelona vorgelegt. Was gibt’s bei Markthallen?

Hm. Es gibt den Borough Market in London, da wo die Hipster immer hingehen. Der ist aber keine freistehende Markthalle, sondern ein Gewurl zwischen alten Häusern und Bahnbrücken.

Wurscht, des googelt niemand. Borough Market! London! Weltstadt! Rendering!

Wieviele? Eins?

Drei! Fünf!

Und die Halle? Den gleichen Entwurf wie damals?

Nein, was Neues, mit Stahl, und Glas! So wie von dem Dings, wie heißt der, Calatrava. Und vergesst’s mir net des Grün! Die Leute wollen Bäume! Kletterpflanzen! Sprühnebel! Und Photovoltaik, die geht immer.

Parteizentrale 3. Nebenzimmer.

Partei 1 hat schon 36 Renderings, Partei 2 zieht nach, nur wir haben noch nix!

Naja, ein Bild nur mit Parkplätzen schaut halt net guat aus. Die Leute wollen Grün!

Da hamma a Problem.

(langes grübelndes Schweigen)

Und was, wenn wir Autos UND Grün…?

Und Radanlagen!

Und E-Mobility zwengs der Innovation!

Win-win für alle!

Ruf wen an, der uns da a Büdl macht! Und dann rein damit ins Facebook!

 

Parteizentrale 4. Strategiesitzung.

Beim Thema öffentlicher Raum underperformen wir noch. Wir brauchen Bilder!

Schwierig.

Warum?

Wir haben schon 2017 die Flut von Visualisierungen in der Stadtplanung kritisiert. Wir müssen da on topic bleiben für die Credibility!

Aber der öffentliche Raum!
Wir machen folgendes: Wir setzen full auf Personality. Fotos des Spitzenkandidaten, der Wasser aus einem Eimer auf eine Gasse kippt.

Wos? Wie?

Bäche statt Nebelduschen! Bam, Oida!

„Bam, Oida“ sagt doch heute niemand m…

Sitzung beendet, an die Arbeit! Wir brauchen einen Eimer!

 

Parteizentrale 5, Hinterzimmer.

Durch dicke Rauchschwaden ist die Kopie eines Kupferstichs zu sehen, die auf dem Tisch liegt („Die Türken vor Wien, 1683“). Daneben Schere, Klebstoff, eine Packung Fingerfarben. Vor dem Fenster quält sich ein SUV in eine Parklücke.

 

Parteizentrale 1, Wahlkampfbüro.

So, hamma alles durchvisualisiert?

Gumpendorferstraße, Zollergasse, Pilgramgasse, Wollzeile, Supergrätzl Volkertmarkt, Supergrätzl Margareten, Josefstädterstraße, Pfeilgasse, Naschmarkt, Alserbachstraße, Nussdorferstraße, Laxenburgerstrasse…

Und im Südwesten?

Den Maurer Hauptplatz.

Bissl zu wenig. Gibt’s nicht in Liesing noch irgendeine Verkehrsinsel, die wir zur Bezo machen können?

Schon, aber…vielleicht machen wir mal etwas anderes? Andere Möbel, andere Farben, anderer Straßenbelag? Kunst im öffentlichen Raum?

Nix da! Der Look and Feel ist fix festgelegt: Begegnungszonen-Pflasterung, Bäume, glückliche Menschen, Grünzeugs im Nebel.

Aber… gibt es wenigstens eine Gesamtstrategie für die Stadt? Einen Plan?
Strategie? Plan?

Na, so wie Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris mit ihrem Plan Vélo für die Radwege und ihrer Stadt der 15 Minuten, oder die „20 minute neighborhoods“ in Portland. Wir könnten das in informativen Diagrammen…

Die 15-Minuten-Stadt hatten wir schon im Februar lanciert, aber das hat den Public Interest nicht geflasht. Strategie ist unsexy, Pläne macht keine Insta-Story. Wir müssen das als Produkt verpacken, jede Straße für sich, dann gibt’s für jede Straße ein Eröffnungsfestl mit Insta-Story und Werbekampagne und Bäumen und Nebel. Irgendwas müssen die 178 Leute in der Social-Media-Abteilung ja tun!

 

 

Erschienen in: 
Der Standard, 10.10.2020