Seit 25 Jahren gibt es in Wien das Instrument der Bauträgerwettbewerbe. Von der Öffentlichkeit wenig beachtet, produziert es Wohnbauten mit hoher Qualität, aber auch viel guten Durchschnitt, und immer mehr Masse.
Der Beruf des Stadtplaners ist ein Phantom. Landläufig, pardon: stadtläufig, stellen sich viele immer noch einen singulären Masterplaner vor, der nach Gutdünken aufzeichnet, wie hoch ein Häuserblock sein und wo ein Mistkübel stehen darf, woraufhin diese Zeichnung von wieselflinken Stadtbaufirmen genauso umgesetzt wird. Das ist natürlich falsch. Stadtplanung ist ein kompliziertes Geflecht aus Politik, Verwaltung, Fachplanern und Öffentlichkeit. Gerade die schönsten Städte verdanken ihre Gestalt vor allem strengen Baugesetzen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Das Rote Wien wäre ohne die Wohnbausteuer nie realisiert worden. „Form folgt Paragraph“, wie es die gleichnamige Ausstellung im Wiener AzW 2017 formulierte.
Kein Wunder, dass der gesetzliche Mechanismus, der seit inzwischen 25 Jahren das Wiener Stadtbild prägt, über die Fachwelt hinaus kaum bekannt ist: Der Bauträgerwettbewerb. Seit 1995 wird ein solcher vom wohnfonds_wien ausgelobt, wenn städtische Liegenschaften mit bebaut werden. Das Besondere: Wie der Name besagt, reichen Bauträger und Architekten als Teams ein, es ist also kein reiner Architekturwettbewerb, denn der Sieger bekommt schließlich das Grundstück.
Stadt folgt Paragraph
Beurteilt werden die Projekte vom Grundstücksbeirat, anfangs nach den Kriterien Architektur, Ökonomie und Ökologie, 2009 kam die Soziale Nachhaltigkeit als vierte „Säule“ hinzu. Oft werden Wettbewerbe mit speziellen Themen wie Generationenwohnen, Wohnen für Frauen, Alleinerziehende oder ohne Auto ausgelobt. Ob Sonnwendviertel, Nordbahnhof oder Seestadt Aspern: Die meisten größeren Wohnbauten und Stadtviertel der letzten 25 Jahre basieren auf Bauträgerwettbewerben. Stadt folgt Paragraph.
Darin viel Qualität, aber von Beginn an auch Kritik. Vor allem daran, dass in Wien der traditionell mächtige Wohnbau den Städtebau quasi en passant mit erledigt. Dieser „Baufeld-Urbanismus“, bei dem Block für Block mit Wohnbau aufgefüllt wird, ist ein Produkt der Bauträgerwettbewerbe. Was dabei unter den Tisch fällt: Das Wohnumfeld, die Gestaltung von Straßen und Plätzen, und alles, was eben nicht Wohnen ist: Handel, Gewerbe, Kultur, Zwischennutzungen, Freiräume. Was eine Stadt braucht, geht eben über das hinaus, was ein Bauträger liefern kann.
Dies zumindest beginnt sich zu ändern, denn mit der Einführung zweistufiger Wettbewerbe 2014 und der Vermittlungsarbeit der IBA_Wien 2022, die die Bauträger beim Stadtentwicklungsgebiet Berresgasse dazu brachte, ihre Erdgeschosse zu koordinieren. „Das Prozessuale ist wichtig, der Dialog und die Koordination über die Bauplatzgrenzen hinweg“, sagt Wohnfonds-Geschäftsführer Gregor Puscher. „Das Gebiet In der Wiesen Süd hat auch aus diesem Grund zu Recht den Wohnbaupreis 2019 verliehen bekommen. Dort sind die Bauplätze nicht mehr als solche erkennbar, und das ist gut so“.
Auch Zwischennutzungen und Provisorien, ein Feld, auf dem sich Wien immer schwertat, finden erstmals ihren Weg in die Wettbewerbe, so Puscher: „Als ich vor knapp zwei Jahren zum wohnfonds_wien gestoßen bin, dachte ich, wir machen nur Wohnbau, aber heute bin ich auch Experte für Mehrfach- und Zwischennutzungen: Die Remise Wolfganggasse, der Haschahof, die Sargfabrik, das WEST im Sophienspital. Das bedeutet viel neue Entwicklungsarbeit, macht aber auch viel Spaß, und ist enorm wichtig bei der Vorbereitung der Quartiersentwicklung, weil hier wichtige Identifizierungspunkte erhalten und entwickelt werden“.
Guter Durchschnitt
Auch die Wiener Architektenschaft feiert ein Jubiläum: Seit 25 Jahren ist sie zwiegespalten, was die Bauträgerwettbewerbe angeht. Zum einen bündelt sich in ihnen ohne Zweifel ein enormes Maß an Wohnbau-Expertise. Doch das bedeutet nicht, dass alles möglich ist. Der große Vorteil des Systems, dass schon im Wettbewerb viele Faktoren genau festgelegt werden und Projekt so schneller und zuverlässiger realisiert werden können, birgt auch den Nachteil, dass der Spielraum für Innovationen und Ungewöhnliches beschränkt bleibt. Schon 2008 förderte eine umfassende Studie der MA 50 die Meinung zutage, „dass sich im Lichte einiger Highlights ein guter architektonischer Durchschnitt etabliert hat“ und Themen-Wettbewerbe oft „nur irgendein Mascherl umgehängt bekommen haben“ und „oft nicht sehr viel Innovatives herausgekommen ist.“
Architekten, die nicht namentlich genannt werden wollen, erzählen auf Anfrage des STANDARD von Fällen, bei denen vorab „durchsickerte“, wer den Wettbewerb wunschgemäß gewinnen solle, weil er jetzt „an der Reihe ist.“ Stimmt es, dass bei den Bauträgerwettbewerben, immer dieselben Architekten zum Zuge kommen? „Nein, keineswegs,“ sagt der stellvertretende Wohnfonds-Geschäftsführer Dieter Groschopf. „Das Kernteam aus Bauträgern und Architekten hat nicht zu einer Konzentration, sondern zu einer Vielfalt geführt. Es ist bei fast jedem Bauträgerwettbewerb ein neues, junges Architektenteam dabei. Es ist auch nicht so, dass sich immer dieselben Teams zusammenfinden, im Gegenteil sehen wir immer wieder neue Kombinationen.“
Maximale Masse
Das mag sein, doch kämpfen junge wie alte Architekten heute vor allem damit, die steigenden Kosten im Bausektor mit steigenden Qualitätsansprüchen zusammenzubringen. Damit das Wohnen leistbar bleibt, werden Masse und Bebauungsdichte immer weiter hochgeschraubt. Manche Architekten sahen deswegen schon von einer Teilnahme am Wettbewerb ab. Die jüngst gekürten Projekte auf dem Areal des ehemaligen Sophienspitals und an der ehemaligen Badner-Bahn-Remise an der Wolfganggasse kratzen mit elf Geschossen an der 35-Meter-Grenze, die in der Wiener Bauordnung ein Hochhaus definiert.
„Diese Obergrenze hat sich schon eingeschlichen“, stimmt Gregor Puscher zu. „Wichtig ist aber, wie das Quartier und das Umfeld funktionieren. Dichte in der Höhe zu produzieren, ist gut, wenn sie den Fußabdruck reduziert und damit größere Freiräume ermöglicht.“ Dabei hätte man, anders als der freie Wohnungsmarkt, der auf maximale Rendite zielt, gar nicht den Zwang, alle Grenzen auszureizen. Zumal der wohnfonds_wien noch über reichlich Flächenreserven verfügt, nämlich 3,2 Millionen Quadratmetern in ganz Wien. „Diesen Vorrat wollen wir wie bisher kontinuierlich dem geförderten Wohnbau zuführen und durch Grundstückserwerb wieder aufbauen,“ so Puscher. Eines der größten Areale darunter ist Rothneusiedl, wo der Wohnfonds bereits 70% der Flächen besitzt. Hier im Wiener Süden kann bald eine zweite Seestadt Aspern entstehen. Der Wohnbau produziert Stadt, weiter und weiter. Eine Wiener Tradition.