Das Wien-Museum widmet sich dem Phänomen Selfstorage und zeigt, was diese "Häuser für Dinge" über uns erzählen und wie sie die Stadt verändern
Was würde Marie Kondo wohl zu dieser Ausstellung sagen? Die zarte Japanerin, die auf Netflix als Entrümpelungsengel und Declutteringdiktatorin reinigend durch vollgestopfte Haushalte schwebt, würde wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und w. o. geben. Denn die Schau "Wo Dinge Wohnen – das Phänomen Selfstorage", die diese Woche im Wien-Museum eröffnet wurde, widmet sich dem Einlagern und Horten von Besitz.
Durchschnittlich 10.000 Dinge besitzt jeder Mensch in der westlichen Hemisphäre, und Marie Kondos Wegwerfkampagnen zum Trotz wollen sich die meisten Menschen einfach nicht von diesen Dingen trennen. Also verstaut man Wintersportausrüstung, Modelleisenbahn und Vinylsammlungen in Dachböden und Kellerräumen – und immer öfter in extern angemieteten Selfstorage-Abteilen.
Der Bautyp des Selfstorage entstand in den 1960er-Jahren in den USA, als die Konsumgesellschaft immer mehr Besitz anhäufte, sich gleichzeitig festbetonierte Familienkonstellationen aufzulösen begannen und man den Besuchern lieber ein aufgeräumtes Interieur als überquellende Kisten und Kästen präsentieren wollte.
Es dauerte Jahrzehnte, bis der Trend nach Europa überschwappte, aber heute sind die "Häuser für Dinge" überall etabliert. 1999 wurde das erste Selfstorage in Österreich errichtet, und ist seitdem zur Erfolgsgeschichte geworden: 2018 gab es in Wien 16.000 Abteile mit 95.000 Quadratmeter Lagerfläche. Rund die Hälfte davon in meist eigens errichteten Lagerhäusern im Stadtgebiet, 37 Prozent in Garagen und Containerlagern an der Peripherie.
Was macht diesen Trend zum externen Auslagern so erfolgreich und relevant, dass er nun zu musealen Ehren kommt? "Selfstorage erzählt uns viel über heutige Stadt- und Wohnraumentwicklung", erklärt Kuratorin Martina Nußbaumer. "Europaweit boomt es vor allem dort, wo die Leute oft umziehen. 20 Prozent der Wiener ziehen jedes Jahr um. Dabei werden Dinge immer mehr."
Noch dazu sinkt seit 2011 erstmals die durchschnittliche Wohnfläche pro Person. Wohnraum wird teuer, und die seit 2012 in Wien etablierten Smart-Wohnungen haben in ihrer Reduktion aufs Minimum den Stauraum fast komplett eliminiert, lukrative Dachgeschossausbauten lassen Dachböden verschwinden, Kellerräume sind oft Mangelware.
Selfstorage ist sozusagen zum Haus gewordener Keller. Wie sich diese Architektur als neues Phänomen im Stadtraum manifestiert, sagt in der Tat einiges über Stadt und Gesellschaft aus. Da sind zum einen die großen Lagerbauten, die sich in Baulücken breitmachen und dort mal aufdringlich selbstbewusst agieren wie die My-Place-Filiale am Gaudenzdorfer Gürtel, mal ungelenk-rührende Anpassungsversuche unternehmen und sich mit entsprechender Fassadenaufteilung als Büro- oder Wohngebäude tarnen.
Nicht nur in Wien: Schon 2013 unternahm die deutsche Fachzeitschrift Bauwelt eine Analyse von Selfstorage-Bauten. "Als Lückenfüller im Wohngebiet zeigt sich der Bautyp in seiner unangenehmsten Form: Satteldach, Sockelgeschoss, Fenster und die Ausbildung enger Höfe simulieren ein städtisches Wohnhaus, sind aber bereits von Weitem als Fake zu erkennen", so das kritische Urteil damals.
Eine relativ neue Erscheinung sind kleine Lagerabteile in Erdgeschosslokalen, hier haben sich allein in den letzten zwei Jahren 20 Anbieter in Wien etabliert. "Diese werden oft von Stadtforschern kritisiert," so Kurator Peter Stuiber. Kein Wunder: Die mit grellen Farben zugeklebten Schaufenster sind nicht gerade eine Augenweide. Doch wer den Stauraum aus dem unmittelbaren Wohnumfeld wegoptimiert, darf sich eben nicht wundern, wenn er woanders in der Stadt wieder aufploppt: die neonschrille Rache der Smart-Wohnung.
Architekten haben sich dieser Bauaufgabe bisher interessanterweise nicht angenommen, obwohl in dieser neuen Typologie gestalterisch meilenweit Luft nach oben wäre. Lediglich in Einzelfällen haben lokale Baubeamte den billigen Blechkisten einen etwas höheren kulturellen Anspruch abgerungen – die My-Place-Filiale in Nürnberg verzichtete auf das Corporate-Identity-Rot zugunsten eines diskreten Champagnerbeige.
Wie Selfstorage-Architektur aussieht und wie sie sich im Wiener Stadtraum präsentiert, zeigt die Ausstellung in kristallklaren Fotografien von Klaus Pichler. Dieser Außenansicht gegenübergestellt sind ausgewählte Einzelbiografien von Lagerabteilen und ihren Mietern, die die oft bewegend persönlichen Geschichten erzählen, die sich hinter den anonymen Blechtüren und in den Containern verbergen.
Eine Dame, die ihr Abteil als begehbare Garderobe für Opernball-Kleider benutzt, oder die Modedesignerin, die ihre Schnittmuster lagert. Der Sammler von Alltagsgegenständen aus der DDR und die liebevoll gehorteten Familienandenken mehrerer Generationen: Fotos der Großeltern, Schultüten der Kinder. Geradezu herzzerreißend: sieben kleine Teller und eine Schale aus Keramik, gestapelt in einer Plastikkiste. Sie gehören Herrn B., seit dem Jahr 2017 wohnungslos, der mithilfe der Caritas seinen Besitz eingelagert hat, bis er wieder eine Bleibe gefunden hat.
Ein Blick durchs Schlüsselloch, der reichlich soziologische Erkenntnisse liefert: Nicht immer geht es ums reine Ansammeln, oft ist das Auslagern Indiz für eine Übergangsphase im Leben in Zeiten von wechselhaft-flexiblen Arbeitssituationen und verpatchworkten Familien. Die durchschnittliche Mietdauer eines Lagerabteils in Wien beträgt gerade zehn Monate. "Man mietet nicht nur Raum, man kauft sich auch Zeit", so Peter Stuiber. "Man vertraut darauf, die Dinge später noch von Nutzen sein werden. Diese Räume sind wie eine Schleuse, durch die Dinge hindurch müssen, um in Zukunft woanders sein zu können." Man kann es auch als Zeichen eines Wohlstandsüberhangs der heutigen Generationen deuten, die das üppige Erbe ihrer Eltern verstauen, aber viel weniger Platz dafür haben als jene.
Nicht zuletzt verdeutlicht der Erfolg von Selfstorage auch, dass physische Gegenstände auch in Zeiten des digitalen Auslagerns einfach nicht wegzubekommen sind. "Don't trust the cloud", so der freche Werbeslogan des amerikanischen Anbieters Manhattan Mini Storage im notorisch beengten New York. Auch wenn der Platz in der Stadt immer enger wird: Die Dinge verschwinden nicht. Pech für Marie Kondo.
Trösten dürfte sie zumindest die Tatsache, dass die Ausstellung fern jeden Messietums sehr aufgeräumt und übersichtlich geraten ist. Sie macht nicht nur ein meist ignoriertes Phänomen anschaulich sichtbar, sondern kommt auch fürs Wien-Museum zur richtigen Zeit: Dieses hat sich, während das Haus am Karlsplatz umgebaut wird, sozusagen selbst ausgelagert. Während die Sammlung ins Depot wandert, sind die Ausstellungen im Übergangsdomizil Musa neben dem Rathaus untergebracht. Auch Museen haben heute bewegte Biografien.