Die Nobelshopallee Ginza ist am Sonntag für Fussgänger reserviert. Alle schweben wie auf Schienen über den sauberen schwarzen Asphalt. Wo Autos fahren dürfen, ist es genauso leise, denn die Autos schweben auch. An keinem Fahrzeug ein Staubkorn, auch Last- und Lieferwägen glänzen keimfrei. Aus den offenen Türen der Geschäfte dringt hochfrequenziger Begrüssungs-, Bedankungs- und Entschuldigungs-Singsang. Dazu an jeder Ampel melodisches Blindenleitgepinge. Kein Wunder, ist ja auch jeder, aber auch jeder Gehweg mit Blindennoppen und Blindenrillen ausgestattet. Durch diesen singenden und pingenden Teppich gleitet man, gefühlte 30 Zentimeter über dem Boden.
In der klaren Morgensonne auf dem Ladehof hinter dem Fischmarkt stopfe ich mir warme, weiche, frisch gemachte Krabbentempurabällchen in der Mund, die mir die grimmige Fischfrau über die Theke gereicht hatte, während neben mir Styroporgebirge in Styroporwölfe gestopft werden. Es schmeckt atemberaubend gut. Vor mir startet ein Fischtransportmofa seine Liefertour, das kostbare Gut, an einer gefederten Metallkonstruktion abgehängt, pendelt schwappgeschützt über dem Hinterrad.
Der Jetlag im Kopf lässt sich leicht maximieren durch Besuch der kollektiven Kirschblütenbeguckung am Sonntag im Ueno-Park. Lachende Massen wälzen sich unter berstenden Bäumen durch. Man picknickt auf blauen Plastikplanen unter den Kirschbäumen, die Standorte sind lange vorher reserviert. Schon am Mittag ortet man die ersten Sakeleichen. Fast alle rauchen beim Picknick, im Gehen ist es verboten. Alle fotografieren alles. Jedes einzelne Blütenblatt in Japan ist mindestens ein Dutzend Mal fotografiert worden. Eines Tages wird Japan im Meer versinken, wenn seine Datenspeicher unter der Last von Trilliarden Kirschblütenfotos zusammenbrechen.
Die Pause in „The next station is….Ebisü.“ (Pause) „Ebisü.“ ist sicher eine der süßesten Pausen der Welt. Noch dazu klingt das japanische U wie das türkische i-ohne-Punkt, einer der süßesten geschlossenen ungerundeten Hinterzungenvokale der Welt. Und noch mal dazu hat jede Station der Yamanote-Linie ihre eigene Melodie. Bei Ebisu ist es der Dritte Mann.
„The next station is….Shibüya.“ (Pause) „Shibüya.“
Sie sitzen still und friedlich in einer Reihe, leicht eingesunken, wie ausgeschaltete Roboter. Niemand telefoniert.
„The next station is….Harajükü.“ (Pause) „Harajükü.“
Das Mädchen streicht sich, abwesend, die Haare mit dem aufgeklappten Mobiltelefon aus dem Gesicht und döst weiter mit halboffenen Augen. Bald schläft man selbst ein, es kann ja nichts passieren, die Yamanote Line fährt immer im Kreis um Tokyos leere Mitte mit dem einsamen Kaiser und seiner Frau drin herum, und alles ist leise und dezent.
„The next station is…“