Mit dem Eiermuseum in Winden am See, errichtet vom Architekturbüro gaupenraub, macht sich Bildhauer Wander Bertoni das schönste Geschenk zum 85. Geburtstag.
Der neueste Eintrag im Katalog trägt die Nummer 3627. Material Holz, Farbe Rot, Herkunft Moskau. Ein Ei. Wander Bertoni hat es vor wenigen Tagen von einer Russlandreise mitgebracht und wie alle anderen Eier in akkurater Handschrift in seinem karierten Heft archiviert.
Unter den tausenden Eiern - die meisten sind aus Holz, Keramik oder Glas - finden sich auch kultische Phallusobjekte aus indischen Tempeln, perlenbesetzte Hühnereier aus Rumänien, Dinosauriereier (sowohl echte als auch Kitschobjekte aus Porzellan) und sogar eierförmige Handgranaten. Der italienische Bildhauer - demnächst feiert er seinen 85. Geburtstag - sammelt schon seit den Fünfzigerjahren. Die Faszination hält nach wie vor an: “Die geometrisch einfachste Form ist die Kugel” , meint er, “einmal verformt erhält man ein Ei.”
Nachdem die Eier Jahrzehnte lang in verschiedenen Lagern vor sich hin geschlummert hatten, beschloss Bertoni, dass etwas geschehen musste. Und zwar noch zu seinen Lebzeiten. Der Plan, die Sammlung der Stadt Wien zu schenken, wurde wieder verworfen. Stattdessen schenkte sich Bertoni zum bevorstehenden Geburtstag einfach selbst ein Museum.
Architekt Johannes Spalt, der die alte Scheune zur Werkstatt adaptiert und später um ein Museum für Bertonis Großskulpturen ergänzt hatte, skizzierte einen ersten Entwurf, konnte ihn aufgrund seines hohen Alters aber nicht ausführen. “Daraufhin hat er mir zwei seiner ehemaligen Schüler empfohlen” , erinnert sich Bertoni, “ein Mädchen und einen Burschen.” Die so jugendlich Titulierten, Ulrike Schartner und Alexander Hagner vom Wiener Architekturbüro gaupenraub, begannen sofort, sich in die Materie Ei zu vertiefen.
Es stellte sich bald heraus, dass fast alle Eiermuseen, die es weltweit gibt, naheliegenderweise eiförmig sind. Auch Spalts Skizze wies - anders als seine sonstigen orthogonal gerasterten Bauten - eine deutlich runde Form auf. “Die Konkurrenz zu den Skulpturen Bertonis wäre viel zu stark gewesen” , erklärt Hagner. Und so löste man sich von den Vorgaben des Lehrers und stieß im Zuge neuerlicher Eierrecherchen bald auf die Grundform eines ebenso spiegelsymmetrischen Quadrats.
Der Entwurf der beiden Architekten sah ein transparentes, verglastes Erdgeschoß mit einer geschlossenen Haube aus Kupferblech vor. Der gewagte Clou daran: Das Museum sollte wie ein Vogel nicht auf vier, sondern auf zwei Beinen stehen. Während der Statiker zu rechnen begann, holten die Architekten - so lautete Bertonis Bedingung - die Erlaubnis von Johannes Spalt ein.
“Wir waren nervös und sind wie die Schüler zu ihm hingepilgert” , erinnern sich Hagner und Schartner. Die Nervosität erwies sich als unbegründet. Ihr ehemaliger Lehrer war begeistert und ebnete damit den Weg für das Museum im Calimero-Look. Immerhin handelt es sich dabei um den ersten freistehenden Bau für die Architekten.
Die zweibeinige Statik des Gebäudes erwies sich als Herausforderung der Güteklasse A. In Kombination mit der elegant kantigen Stiege balancieren die zwei schräg in den Raum gestellten Stützen das gesamte Obergeschoß. 27 dünne Zugstäbe verankern die Konstruktion im Boden und hindern das Bauwerk auf diese Weise am Abheben.
“Unglaublich” , sagt Bertoni, “30 Tonnen Stahl für 300 Kilo Eier!” Während des neunmonatigen Bauprozesses hatte der Bildhauer jede Menge Albträume, in denen die gewagte Konstruktion in sich zusammenfiel.
Pavillon unter Spannung
Alles lief nach Plan. Die präzise vorverformten Bauteile schnurrten zentimetergenau in ihre vorgesehene Position. Ganz selbstverständlich, als wäre es schon immer Teil des Ensembles gewesen, ruht das fertige Haus in seinem grünen Nest, zwischen zahlreichen Obstbäumen und einem von Bertoni in langjährigem Hemingway’schen Kampf zum Baum verformten Hollerstrauch. Wenn auch nicht in der Form, so ähnelt es doch im Charakter einem Ei: zart und fragil, stets unter Spannung stehend und doch in sich ruhend.
Die Zweiteilung der Ausstellungsräume auf dem Grundraster von zehn mal zehn Metern ergab sich aus den Besonderheiten der Sammlung. Fein säuberlich lassen sich die Exponate in weitestgehend unempfindliche und besonders lichtscheue Stücke teilen. Erstere stehen und liegen nun im vollverglasten Erdgeschoß in abgehängten Vitrinen.
Die wahre Raffinesse erwartet einen im ersten Stock: Für die empfindlichen und liegend zu lagernden ovoiden Schmuckstücke wurden handliche Passformen entwickelt, die sich wie in einem Setzkasten flexibel gruppieren lassen. Und da man Eier nicht wie Bilder einfach an die Wand nageln kann, wurden Metallstäbe in die hohlen Exponate gesteckt, die dann per Magnet direkt an Ort und Stelle gehalten werden.
In benutzerfreundlicher Augenhöhe sind die Schaukästen an der Innenseite des herausgeklappten Daches aneinandergereiht. Darunter lässt eine umlaufende Glasfuge Tageslicht von unten herein, ohne die lichtempfindlichen Eier zu blenden. Durch dieses Aufweiten und Erhellen wirkt der weiß gehaltene Raum - ganz so wie die Innenseite einer Eierschale - trotz gleicher Grundfläche erheblich größer als das gläserne Erdgeschoß.
Zwei Wochen vor dem Geburtstagsfest sind zwar noch nicht alle Eier einsortiert, aber der Bildhauer und seine Frau Waltraudt Bertoni, die die Sammlung kuratiert, sind von ihrem Museum längst begeistert. Und auch die Windener haben schon die ersten wohlwollenden Blicke darauf geworfen. “Besonders freut mich, dass das Eiermuseum auch den einfachen Leuten aus dem Ort gefällt” , so Bertoni. “Das ist für mich das Allerwichtigste.”
Dass das Museum bereits mit dem Architekturpreis des Landes Burgenland ausgezeichnet wurde, ist ein besonderes Zuckerl. Für die Wettbewerbseinreichung hatten die Architekten eigens ein in perfekte Quadratform hineingebratenes Spiegelei zubereitet. “Die Eier, die wir beim Experimentieren verwendet haben, wollte niemand essen” , sagt Alexander Hagner, “mit der Folge, dass ich jetzt vorerst keine Lust mehr auf Spiegeleier habe.” - Ein verkraftbarer Wermutstropfen angesichts der rundum gelungenen Quadratur.
(Erschienen in: “Der Standard”, 25./26.9.2010)