Von seiner Basis in Salzburg aus lotete er sensibel das architektonische Potenzial von Stadt, Land und Berg aus. Gerhard Garstenauer war ein unermüdlicher Kämpfer für Baukultur. Jetzt ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
"Herr Architekt, die Betonkist'n da können Sie sich am Hut stecken!" So etwas hört man nicht gerne, erst recht nicht zwei Wochen vor der Eröffnung der so titulierten "Betonkist'n". Der Architekt hieß Gerhard Garstenauer, und er steckte sich sein Gebäude keineswegs an den Hut. Gut so, denn es sollte ihn wenn nicht berühmt, so doch bekannt und respektiert machen. Das 1968 eröffnete Felsenbad in Bad Gastein wurde seinem Namen gerecht. Sowohl aus Platzgründen als auch aus in Stahl und Stein verankerter Ortsverbundenheit setzte Garstenauer die von einem Betontragwerk überspannte Halle direkt in den rauen Fels. Sachlich und sinnlich, rational und rustikal, international und lokal.
Ein Aufbruch im wahrsten Wortsinn. Gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Anton Kerschbaumer plante Garstenauer, dem im längst geriatrisch gewordenen Kurbetrieb des 19. Jahrhunderts dahindämmernde Gastein zu neuem Leben, frischer Luft und zeitgemäßem Tourismus zu verhelfen. Die Gemeinderäte, die die "Betonkiste" verhöhnten, hatten das Nachsehen. Sechs Jahre später folgte der nächste Schritt in der Verjüngungskur. Der Ortskern mit seinen Hotelburgen, die sich um den berühmten Wasserfall gruppierten und dort dunkelfeuchte Schluchten bildeten, sollte endlich ein Zentrum bekommen. Garstenauers Lösung: Sein Kongresshaus, auf langen Betonstelzen über den Steilhang gestellt, machte aus der engen Gasse eine Terassenlandschaft mit Ausblicken und öffentlichem Platz, inklusive einer geradezu futuristischen Trinkhalle auf dem Dach unter vier Glaskuppeln. Ein großstädtisches Element an einem Ort, der schon zu k. u. k Zeiten alles andere als ein Alpendorf war. Eine Konsequenz, die dennoch für viele "Betonkisten"-Skeptiker zu viel des Guten war.
Einen weiteren Schritt der Verjüngungskur, nämlich den Tourismus der Zukunft, durfte Garstenauer schon nicht mehr ganz realisieren. Zwar konnte er im Retortenort Sportgastein Anfang der 1970er-Jahre vier runde Aluminiumkugeln am Kreuzkogel-Lift auf den Berghang setzen, doch waren diese nur als Keimzellen weit größerer Pläne gedacht: einer erweiterten Berglandschaft in Form von Apartmenthäusern und einer Gletscherbahn auf das Schareck, mit so riesigen wie feingliedrigen Kuppeln als Berg- und Talstation. Eindrucksvoll waren die verbleibenden kleinen, raumschiffartigen Metallkapseln trotzdem: Garstenauer konzipierte sie so, dass sie sowohl dem harten Gebirgsklima widerstanden als auch per Hubschrauber auf 2.600 Meter Seehöhe transportiert werden konnten. Die Kugelform selbst war für den ingenieurtechnisch ambitionierten Architekten alles andere als ein futuristischer Scherz: Sie erlaubte den Touristen einen 360-Grad-Panoramablick über die Alpengipfel, etwas, das mit einer urigen Berghütte eher schwer zu realisieren ist.
Es ist sicher nicht abwegig, wenn man das Alpine und das Konstruktive als Konstanten in Garstenauers Biografie bezeichnet. 1925 in Fusch an der Großglocknerstraße geboren, wuchs er in einem schlichten Blockhaus auf, nur zwei Täler von Bad Gastein entfernt. Von 1947 bis 1952 studierte er an der TU Wien, danach kehrte er nach Salzburg zurück. Der Region sollte er sein Leben lang treu bleiben, nicht nur als planender und bauender Architekt, sondern auch als engagierter Streiter für eine aufgeklärte Baukultur, etwa in seiner Rolle als Initiator des Gestaltungsbeirats Salzburg.
Während einige seiner Zeitgenossen in Wien ihre Träume der Moderne, ob in Raumstrukturen oder futuristischen Blasen, während der 70er-Jahre vor allem träumend und theoretisierend vollzogen, machte sich Garstenauer daran, diese Ideen fern von Wien, aber auch fern jeder Provinzialität einfach umzusetzen: Realitycheck im Gebirge. Und so, wie ihm die Konstruktion dabei stets als Essenz der Architektur galt, fand sich das Alpine wieder in Garstenauers Sinn und Sensibilität für die Umgebung, ob sie nun aus Felsen bestand oder aus Salzburger Gassen. Das blieb keineswegs unentdeckt. Von 1973 bis 1978 hielt er eine Gastprofessur in Innsbruck, 1980 habilitierte er in Graz. Dass er Materialien wie den Beton dabei keineswegs als Selbstzweck benutzte, zeigt einer seiner schönsten Bauten, das Haus, das er 1978 in Aigen für seine eigene Familie baute. Wie eine durch die Echokammer der Moderne reflektierte Erinnerung an das Blockhaus seiner Jugend besteht dieses komplett aus unverkleidetem Holz, weder puristisch noch eckbankrustikal, und ist in sanften Höhensprüngen der leichten Hangneigung der Wiese, auf der es steht, entlanggestaffelt. Ganz nebenbei war es ein Startschuss für die zeitgenössische Holzarchitektur in Salzburg. Seit 2013 steht es unter Denkmalschutz.
Architektur aus der selbstverliebten Eitelkeit eines Bauchgefühls heraus lehnte er zeit seines Lebens ab. "Architektur darf keiner Mode, keiner Laune gehorchen", konstatierte er 2006 im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir sind keine Bildhauer, wir sind keine Maler, wir konstruieren." Es ist eine Ironie der Architekturgeschichte, dass es gerade eine so klare und gewissenhafte Position ist, die sich immer wieder einem Zweifrontenkrieg ausgesetzt sieht: einerseits von der bildgewaltigen Spektakelarchitektur dröhnend übertönt, andererseits von der Öffentlichkeit als hässlich diffamiert. Möglicherweise, weil ihre Qualitäten so offensichtlich sind, dass man sie leicht übersieht.
Viele von Garstenauers Bauten haben diese Missachtung zu spüren bekommen. Sein Felsenbad verlor beim Upgrade zur "Felsentherme" Teile seiner markanten Außenstiege, die die Sonnendecks verband. Die futuristischen Kugeln sollten auf Geheiß der Naturschutzbehörde, die sie einst bewilligt hatte und die sich nun wieder Holzhäuser mit Satteldach wünschte, verschwinden, nur ein Teil davon konnte erhalten werden. Als wären Holzhütten mit Satteldach eine seit Anbeginn der Schöpfung gottgegebene alpine Landschaftsausstattung. Am traurigsten das Schicksal seines Kongresshauses: Dieses wurde, wie Garstenauer 2009 im Gespräch mit dem STANDARD enttäuscht anmerkte, von der Gemeinde dem Investor Franz Duval zum "Schleuderpreis" vermacht. Duval ließ es, wie auch alle anderen von ihm erworbenen Bauten im Zentrum von Gastein, einfach leerstehen, und so steht es bis heute. Garstenauers immer wieder vorgebrachte Angebote unentgeltlicher Beratung stießen in allen Fällen auf taube Ohren bei Investoren und Gemeinde. Mehr Anerkennung war ihm in der Stadt Salzburg beschieden: Sie verlieh ihm 2015 die Wappenmedaille der Stadt. Sein Archiv hatte er bereits 2010 dem Salzburg-Museum übergeben. Wie dieses bestätigte, ist Gerhard Garstenauer am vergangenen Wochenende im Alter von 91 Jahren gestorben. Nicht nur die Alpen werden seine konstruktive Intelligenz vermissen.