Außen rau, innen rot-weiß: Mit dem Musikkens Hus im dänischen Aalborg wurde der erste Bau von Coop Himmelb(l)au in Skandinavien eröffnet.
Ob es der Eurovision Song Contest ist, der im Mai in Kopenhagen stattfindet, der reiche Fundus an Volksliedern, oder seriöse E-Musik: „Die Dänen feiern gern; sie singen noch viel lieber.“ Mit diesen Worten warnt jedenfalls ein Reiseführer augenzwinkernd den Besucher aus dem Süden. Und warum auch nicht? Anlass zum Gesang gibt es genug in einem gemütlichen Land mit der sympathischen Königin und dem hohen Lebensstandard. Paradebeispiel: Die 100.000-Einwohner-Stadt Aalborg in Nordjütland. Nirgendwo sonst in Europa sind die Bewohner so zufrieden mit ihrer Heimatstadt.
Wenn diese glückliche Kommune also ein Sinfonieorchester und ein Musikkonservatorium unter einem Dach vereinigen will, geschieht das ebenso selbstbewusst wie gemütlich. Der Ort war bald gefunden: Der ehemalige Kohlehafen am Limfjord, der wie ein breiter Fluss die Stadt durchquert, und dessen Ufer sich langsam zur postindustriellen Kulturmeile wandelt. Hier hat sich das Kulturzentrum „Nordkraft“ in der wuchtigen Industriekathedrale eines ehemaligen Elektrizitätswerks angesiedelt, ein paar hundert Meter weiter ein feines kleines Museum, das Jørn Utzon, dem Architekten des Opernhauses von Sydney gewidmet ist.
Die ersten Planungen begannen Mitte der 1980er Jahre, doch erst um die Jahrtausendwende wurden sie konkret. Den 2003 ausgelobten Architekturwettbewerb gewann das Wiener Büro Coop Himmelb(l)au mit einem Masterplan für einen Kulturcampus und ein Musikhaus, das in den Fjord hinausragte. Doch bald nach dieser verheißungsvollen Ouvertüre wurde das Projekt von der Kommune Aalborg auf Eis gelegt, erst 2008 ein Neustart unternommen. Dieses Mal wurde das Stück erfolgreich zu Ende gespielt: Vorige Woche wurde das Musikkens Hus (Baukosten rund 130 Millionen Euro) nach vierjähriger Bauzeit eröffnet. Dabei rückte der Bau vom Fjord etwas zurück und steht jetzt trockenen Fußes am Ufer.
Gedämpfte Amplituden
Nun ist Coop Himmelblaus Vorliebe für theatralische Inszenierung und formenreiche Opulenz bekannt, ebenso ihre Genese aus der Rockmusik der späten 60er Jahre. Ein Haus für Musik sollte ihnen also perfekter Anlass zum architektonischen Austoben sein. Doch passt barocke Schwelgerei ins protestantische Skandinavien, in die Nachbarschaft des bescheidenen Jørn Utzon, der warmen Bugholz-Behaglichkeit eines Alvar Aalto, und der nüchtern-rauen Hafenindustrie? Sie passt erstaunlich gut. Denn die Architekten um Wolf D. Prix haben die kurvigen Amplituden ihres Klangkörpers gedämpft, Pauken und Trompeten nach unten transponiert, auf Tutti und Tusch verzichtet. Das zweigeteilte Programm für Akademie und Orchester kam ihnen dabei entgegen. Hier wird zuerst einmal Musik gemacht, und dann erst zelebriert.
Während die Übungsräume in einem aufgestelzten Rahmen aus Sichtbeton untergebracht sind, der sich trotz verspielt runder Fenster mit den rauen industriellen Nachbarn verbrüdert, dürfen sich Saal und Foyer in matt spiegelnden Kurven aus Metall und Glas zum Wasser öffnen. So strahlt das Haus nach drei Seiten mehr den Charakter einer Werkstatt als den eines hehren Schreins aus. „Es soll einfach ein Haus für die Musik sein“, erklärte Wolf D. Prix bei der Eröffnung. Hat der bekennende Stones- und Hendrix-Fan also den Rock’n’Roll zugunsten der Klassik abgelegt? „Das ist gar nichts Neues“, winkt er lässig ab. „Mein Onkel war Komponist, ich hatte also schon immer einen klassischen Hintergrund.“
Keine gefrorene Musik
Zwar ließen sich die Architekten nicht um 180 Grad in Richtung komplett skandinavischer Bescheidenheit umdrehen, freuen darf man sich aber, dass beim Musikkens Hus, abgesehen von der dezent wellenförmigen Beleuchtung auf dem Vorplatz am Ufer, auf alle hier gefährlich naheliegenden Wasser-Wellen-Musik-Metaphern verzichtet wurde. Denn sind wir uns ehrlich: Der gut durchgenudelte Schopenhauer-Evergreen, dass Architektur gefrorene Musik sei, ist nicht viel mehr als ein Zuckertütchenaphorismus. Wolf D. Prix sieht es ähnlich: „Musik und Wasser sind eine wunderschöne Kombination. Die Architektur kann das aber nur abstrakt interpretieren, nicht buchstäblich illustrieren. Man kann die Musik aus dem Gebäude herauslesen, wenn man will. Wir haben aber nicht einfach Händels Wassermusik nachgebaut.“
Partitur aus Beulen
Dass Architektur für Musik, wenn man beides ernst nimmt, sowieso nicht aussieht wie Musik, liegt schon daran, dass das Einhausen von Schallwellen ein hochkomplexe Angelegenheit ist. Eine Aufgabe, die Akustiker Tateo Nakajima vom New Yorker Ingenieurbüro Arup, selbst künstlerbezopfter Dirigent mit entsprechend euphorischen Gesten, sichtlich Freude bereitet. „Ein Konzertsaal ist für Musiker wie ein Instrument“, schwärmt er. „Ein guter Saal will, dass du darin spielst! Wir haben dafür die Oberflächen komponiert – genau wie ein Musikstück.“ So bekamen der große Konzertsaal und die drei kleinen im Gebäude verteilten Übungssäle computergenerierte nierenförmige Beulen unterschiedlicher Größe an den Wänden. Man operiere, um es in Nakajimas schönen Worten zu sagen, mit „scales of bumpiness“.
Solo für eine Stiege
Von nahe betrachtet erinnert die weiße Beulen-Optik zwar im Großen Saal leicht an den Grobputzlook einer griechischen Taverne, ergibt jedoch zusammen mit den geschwungenen, tief ausgeschnittenen Balkonbrüstungen und den 1300 Sitzen, bezogen in sattem Rot, ein festliches und sehr dänisches Ganzes, ein freundliches, farbiges Herz in kühler grauer Hülle. Eine ausgewogene Partitur, in der kein Bauteil darum wetteifert, wer am lautesten tönt. Im Foyer darf eine elegant ausschwingende Sichtbetonstiege ein Solostück spielen, das sich luftig in die Höhe schraubt – mit dem Wermutstropfen, dass ihr Weg ins obere Foyer abrupt von einer Brandschutzverglasung gestoppt wird, wie die Finger eines Pianisten, auf die der Klavierdeckel fällt.
Die Gäste beim feierlichen Eröffnungskonzert nehmen die Stufen dennoch sofort in Beschlag, bieten sie ihnen doch einen perfekten Balkon fürs Sehen und Gesehen werden. Ein netter kultivierter älterer Herr mit Gattin lehnt auf der Sichtbetonempore und lugt hinunter auf die eintrudelnden Gäste. Sein Urteil über das Musikkens Hus? „Es ist sehr österreichisch!“ lacht er. „Alles Beton, kein Holz! Aber es gefällt mir sehr gut.“ Die Dänen sind eben ein freundliches Volk.
Freundlich-familiär und ganz ohne barocke Ehrfurcht verläuft auch das Eröffnungskonzert. Die sympathische Königin sagt ein paar sympathische Worte, betätigt einen symbolischen roten Knopf auf einem symbolischen weißen Tisch, dann singt man gemeinsam ein Lied über den Fjord. Wie hieß es noch im Reiseführer? „Die Dänen feiern gern; sie singen noch viel lieber.“ Und das funktioniert auch in einem österreichischen Haus.