Barock auf Knopfdruck

Das Rennen ist eröffnet, und Architekten aus aller Welt nehmen daran teil: Wer baut das erste Haus, das komplett aus dem 3-D-Drucker kommt?

Am 24. März stand US-Präsident Barack Obama in den Niederlanden vor einem schwarzen Stück Plastik mit den Maßen 1,5 mal 2 mal 2,5 Meter, das wie eine Mischung aus dem Monolithen aus Kubricks "2001" und einer nach außen gestülpten Gummizelle aussah. Der Quader ist der erste Baustein des 3D Print Canal House, entworfen von den jungen DUS Architects, das zurzeit in Amsterdam-Nord entsteht (siehe auch Artikel vom 2. Mai). Wenn es fertig ist, soll es das weltweit erste Haus sein, das komplett aus dem 3-D-Drucker kommt.

In typisch holländischer Mischung aus charmanter Frische und kalkulierender Selbstvermarktung wurde die auf rund drei Jahre angelegte Baustelle gleich zum Museum erklärt, Eintritt zwei Euro fünfzig. Für diesen Obolus kann der einzige Bauarbeiter vor Ort, ein Drucker namens "KamerMaker", bewundert werden.

Herstellung vor Ort

Der große Vorteil gegenüber herkömmlichen Bautechniken sei, dass man nicht auf standardisierte Bauelemente angewiesen ist, so Hedwig Heinsman, Hans Vermeulen und Martine de Wit von DUS Architects, zudem könne ein Bauwerk komplett vor Ort hergestellt werden. Dass die wichtigen Fragen Wärmeschutz, Statik und Brandschutz noch zu lösen sind, gibt man unbekümmert zu. Das Canal House sei als offenes Experiment angelegt.

Ob es tatsächlich als weltweit erstes über die Ziellinie gedruckt würde, ist fraglich: 3-D-Drucker gehören schon länger zu den meistgehypten Zukunftstechnologien. Das Prestige, ein Haus auf Knopfdruck aus einem Guss entstehen lassen zu können, ganz ohne mörtelfeuchtes Herumwühlen, will sich niemand entgehen lassen. Der Architekt Janjaap Ruijssenaars, auch aus Amsterdam, arbeitet gemeinsam mit einem italienischen Drucker an einem "Möbiushaus", das als Endlosschleife über der Landschaft liegen soll (noch im Planungsstadium).

Irgendwann Wolkenkratzer

Schneller war die chinesische Firma Yingchuang New Materials, dort hat man sich schon Ende April zehn Häuser in Schanghai ausgedruckt. Der Materialmix, Bauschutt und Zement, wird maschinell in Schichten aufgetragen. Damit ist das Rennen aber noch nicht entschieden: Aus dem 150 Meter langen Drucker stammen nur die Wände, der Rest wurde auf althergebrachte Weise ergänzt. Das Resultat - eingeschoßige Kleinhäuser - lässt zwar baukulturell zu wünschen übrig, aber man hofft, irgendwann auch Wolkenkratzer bauen zu können.

Eine ähnliche Technologie wird bei den Konkurrenten an der University of South California unter dem Namen Contour Crafting entwickelt: Ein Kranroboter auf Schienen mit Zementdüse soll Häuser von der Stange binnen 24 Stunden fertigbauen. Was nach düsterster Plattenbauära klingt, soll bisher nur aufwändig herzustellenden Formenreichtum ermöglichen: einfach Programm ändern, Betonpatrone nachfüllen, und fertig sind Kurve und Erker.

Detailreichtum ohne Ende

Es ist dieser von keiner Maurerkelle und keinem Steinmetzmeißel begrenzte Formenreichtum, der die Vorstellungskraft vieler Architekten beflügelt. Wie man die digitale Modellierung auf die Spitze treibt, zeigten 2013 Benjamin Dillenburger und Michael Hansmeyer mit ihrem Projekt "Digital Grotesque" an der ETH Zürich. Zwar beschieden sich die beiden jungen Architekten damit, den ersten in 3-D gedruckten Innenraum herzustellen, das 20 Quadratmeter große Resultat übertrifft jedoch an Opulenz alles andere. Mithilfe von Algorithmen, die Formen aus der Natur nachzeichnen und auf sogenannten Voxels - also dreidimensionalen Pixeln - aufbauen, entstand eine hochaufgelöste Oberfläche, die aussieht, als hätte der Künstler und Alien-Filmdesigner HR Giger eine Barockkirche aus Wachs geformt. Gedruckt wurde mit einem hochverdichteten Gemisch aus Sand und Harz.

"Es ist für uns spannend zu erforschen, welche Möglichkeiten sich für Architektur eröffnen, wenn die Komplexität der Bauteile kein Kostenfaktor mehr ist", sagt Benjamin Dillenburger. "Wir arbeiten daran, noch mehr Details drucken zu können." Auch eine Anwendung im Außenbereich sei denkbar, dazu müssten nur weitere Materialkombinationen und Beschichtungsvarianten getestet werden. "Unser ultimatives Ziel ist das 'gedruckte' Haus".

Hohlraumfantasien

Noch künstlerischer geht man die Sache bei den Designern mit dem brutalweichen Namen Softkill Designers in London an. Deren "Proto House" soll, anders als in China oder Amsterdam, weder aus Plastik noch aus Zementschichten entstehen, sondern aus leichtgewichtigen Einzelteilen, die aus feinziselierten 0,7 Millimeter dünnen Fasern aufgebaut sind. Daraus ließen sich, so die Designer, Häuser genauso wie Möbel bauen, statisch selbsttragend ist es obendrein. Ein erster Proto-House-Prototyp im verkleinerten Maßstab wurde bereits ausgedruckt und erinnert stark an die bildhauerischen Hohlraumfantasien von Friedrich Kieslers "Endless House" aus dem Jahr 1950.

Was früher reines Gedankengebäude blieb, wird nun auf Knopfdruck Realität, noch dazu mittels magischer Materialien, die alles können, wozu man heute noch Stahl, Beton, Mauerwerk und aufgeschäumten Ölschlamm benötigt. So zumindest die Wunschvorstellung. Sollte der Hype Realität werden, dürfte die Bauwirtschaft, die weltweit über 100 Millionen Beschäftigte zählt, noch ein besorgtes Wörtchen mitreden.

Die weitreichendsten Pläne für 3-D-Drucker-Architektur gibt es jedoch für einem Ort, der heute weder Bauwirtschaft noch Bewohner kennt: Die European Space Agency (ESA) untersucht gemeinsam mit Architekten die Möglichkeit, Mondbasen mithilfe von 3-D-Druckern direkt auf dem Mond herzustellen - natürlich zu 100 Prozent aus lokal angebautem Mondgestein hergestellt. Auch wenn es eher Leichtgewicht als Monolith werden soll: Stanley Kubrick hätte seinen Gefallen daran gehabt.

Erschienen in: 
Der Standard, 3./4.5.2014