Ave Mariahilf! Die Begegnungszone wird uns auch 2014 noch heftige Debatten bescheren. Über die klerikalen Wurzeln von Planungskultur.
Nicht noch eine Wortmeldung zur Mariahilferstraße, bitte! Doch, eine noch. Denn die unendliche Geschichte, die uns aller Voraussicht nach auch 2014 noch beschäftigen wird, erzählt uns einiges über die spezielle Art der Resonanz, die städtische Planungsprozesse in Wien erfahren.
Was bisher geschah: Man wurde gefragt, später wurde behauptet, man sei nicht gefragt worden. Manche beklagten den Verlust einer „urbanen Perle“, andere malten die Apokalypse an die Wand, weil ein Bus ein paar Meter durch eine Begegnungszone fährt und Dutzende begegnungszonenunerfahrene süße Hunderl somit der baldige Tod unterm 13A erwarte. Jetzt folgt die “BürgerInnen-Umfrage”, auch das ist vielen nicht recht. Warum nimmt die Diskussion um etwas so Banales wie eine verkehrsberuhigte Straße hier so absurde Formen an?
Die Antwort: Es liegt an der Religion. Die Begründung: Begegnungszone und Shared Space wurden in den Niederlanden und der Schweiz erfunden. Als protestantische geprägte Kulturen des Handels und Handelns sind diese Länder es gewohnt, gemeinsam an der Verbesserung der Welt im Diesseits zu arbeiten. Das wissen wir, seit Max Weber vor über 100 Jahren die protestantische Ethik des Kapitalismus auf den rationalen Kern westlichen Denkens zurückgeführt hatte. Der lutherisch-calvinistische Gott schaut daher mit Wohlwollen auf die Shared-Space-Straßenpflaster in Drachten und Dietikon und auf das emsige und nüchterne Verhandeln, dem sie ihre Existenz verdanken. "Gewoon doen!" - "Einfach machen!" - ist die Maxime, mit der der Niederländer sein Tagwerk beginnt. Der Müßiggang im Kaffeehaus, das Sinnieren und Flanieren, sind ihm fremd, da sie keinen messbaren monetären Mehrwert produzieren.
Im katholisch geprägten Österreich, speziell in Wien, ist man dagegen gewohnt, im Diesseits den Herrgott einen guten Mann sein zu lassen. Entschieden wird gern hierarchisch und privat, jenseits der Chorschranken der politischen Kathedrale. Kaum eine Konfession macht so ein bedeutungsvolles Geheimnis aus dem Geheimnis. Werden Entscheidungen so konsequent ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wie bei der Mariahilferstraße, fühlt sich die katholisch geprägte Kultur grell geblendet, so als hätte jemand im Stephansdom das Neonlicht angeschaltet und verkündet, man möge basisdemokratisch über die Sitzanordnung der Kirchenbänke diskutieren.
Denn nichts ist dem Wiener fremder als die Idee des Unfertigen, des "Work in Progress". Er findet es unschön und ungemütlich. Das Neue soll entweder unauffällig oder prachtvoll in die Welt kommen, aber auf jeden Fall sofort und ohne G'riss. Es soll schön inszeniert sein, nicht konstruiert, die Mechanismen dahinter sollen im Verborgenen bleiben, und erst recht möchte man nicht gezwungen werden, diese Mechanismen selbst zu optimieren. Man begnügt sich mit den Optionen "Passt eh" oder "Eh wurscht".
Um klar zu sein: Es geht hier nicht um den tatsächlichen Glauben, sondern um eine seit Jahrhunderten vertiefte kulturelle Prägung. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet die klerikal durchwirkte ÖVP am vehementesten gegen die Umgestaltung protestiert? Der Vorwurf des "Chaos" ist hier ein beliebtes Geschütz im planungspolitischen Streit. Als sei ein offener Entscheidungsprozess um die Umgestaltung von ein paar hundert Metern Straße schon Türoffner für Anarchie und Zusammenbruch des Gesellschaftsgefüges. Ja, eine Begegnungszone von göttlichen Kaisers Gnaden, die sich dank dem Wort von Dir, oh Herr, aus dem Nichts materialisiert, damit könnte man sich noch anfreunden. Aber so? Na, geh.
Der Wiener will in Ruhe gelassen werden, der Bürger erwartet, dass die Stadt Wien die gütige Glucke bleibt, die nur gibt und nie nimmt. Dass Planungsstadträtin Maria Vassilakou diesem ikonischen Bild der Mutter Maria voller Gnade nicht ganz entspricht, wurde und wird ihr besonders übelgenommen. So riefen nicht wenige den väterlichen Bürgermeister an, er möge qua Machtwort der ungemütlichen Basisdemokratie ein Ende bereiten, sodass man wieder zufrieden ins Polster sinken könne.
Dass der Prozess um einiges souveräner hätte moderiert werden können, steht auf einem anderen Blatt. Dass das Ziel der Verkehrsberuhigung, das von den Initiatoren beschworene "ungestörte Flanieren", im Wesentlichen die Maximierung von Gastronomie und Eventkultur meint, also schlicht "mehr Shopping", steht auf noch einem anderen Blatt. Die Frage bleibt: Sind Begegnungszonen evangelisch? Sind Randsteine katholisch? Ist der Umgang mit dem Sozialkapital konfessionsabhängig? Wir werden die Gestaltung des Straßenpflasters vor der Barnabitenkirche im Auge behalten.
(Kolumne "Planpause" in: Der Plan, Zeitschrift der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland)