Pro und contra Verpackungswahn: Führen schaumgedämmte Fassaden in die Sackgasse? Architekten suchen nach Auswegen
Es ging hoch her, vor drei Jahren bei der "Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt" in Düsseldorf. Damals gerieten sich ein junger grüner Oberbürgermeister und ein renommierter Großarchitekt in die Haare. Und das über ein so sprödes wie ödes Thema: Wärmedämmung.
Der Erste - Boris Palmer aus Tübingen - plädierte dafür, wenn nötig auch die jahrhundertealten Fachwerkhäuser seiner hübschen Altstadt in Styropor zu hüllen. Der andere - Hans Kollhoff - sah das Ende der Baukultur nahen. Es folgten Debatten über den "Dämmwahn", der Stuck und Klinker hinter Styropor verschwinden ließ.
Normenflut
Seither sind die lauten Streitgespräche in Deutschland und Österreich verklungen, doch das Thema ist nicht vom Tisch, im Gegenteil. Spricht man dieser Tage mit Architekten, hört man immer mehr Stöhnen über die zunehmende Flut an Normen, die Industrieprodukte in den Bau hineinreklamieren. Neben Brandschutz und Barrierefreiheit ist es vor allem die Wärmedämmung, die den Architekten Unbehagen bereitet. Fassaden flächendeckend mit Ölschlamm zuzukleben, das könne es eigentlich nicht sein. Trotzdem kommt man vor allem im Wohnungsbau heute um die 20 oder mehr Zentimeter Wärmeschutz kaum herum.
Dabei ließe sich das einheitliche Verpacken durchaus infrage stellen. Der 2011 vom Bundeskanzleramt veröffentlichte Baukulturreport analysierte, dass Bauten aus den Jahren zwischen 1945 und 1960 energetisch am schlechtesten abschneiden, vor allem Einfamilienhäuser. Hier sei daher durch Sanierungen am meisten herauszuholen. Dicht bebaute Stadtviertel stehen ohnehin nicht zu schlecht da.
"Tektonisch widerlich"
"Es stimmt, dass sich die Architekten zurzeit mehr wehren, es ist eine richtige Bewegung entstanden, als Reaktion auf die Vorschriftenflut", sagt Dietmar Steiner, Direktor des Wiener Architekturzentrums (AzW). Als einer der vehementesten Styropor-Gegner lässt er kein gutes Haar am Hartschaum: "Ich war schon in den 80er-Jahren dagegen, damals war die Technik noch nicht so ausgereift, da ist die Dämmung in nassen Fetzen von der Fassade gehangen." Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, diese Technologie zu beenden, weil er sie "tektonisch widerlich" finde.
Weiter ausgereift ist die Technologie zwar inzwischen, doch das ändere, so Steiner, nichts daran, dass man damit auf dem falschen Weg sei. "Man braucht das Zeug nicht! Es ist ein reines Resultat des Lobbyismus, und es wird obendrein meist falsch verarbeitet. In 20 Jahren wird das ein riesiges Problem, wenn man die ganze Chemie zu entsorgen versucht!" Die Kritik vieler Architekten resultiert nicht nur aus chemischem Unbehagen, sondern auch aus Sorge um die Ästhetik des Stadtbildes: Proportionen gingen in der Aufschäumung verloren, noch dazu würden die Nordseiten trotz Fungiziden im Putz nach Jahren zu schimmeln beginnen, der Wartungsaufwand sei enorm.
Pro: Besser als gar nichts!
Der grüne Bürgermeister aus Tübingen, Boris Palmer, hält auch heute noch an seiner Position fest: "Wärmedämmverbundsysteme sind für die Häuslebauer am günstigsten, und es ist immer noch besser, als nichts zu tun", sagt er. "Das heißt nicht, dass man alles zukleistern muss. Ich hatte auch nie vor, unsere ganze Altstadt in Styropor zu packen. Den Rest sind wir aber in den letzten Jahren massiv angegangen, wir verpacken wie die Weltmeister!"
Die Forderung nach Schönheit statt Styropor ist für Palmer zweitrangig, wenn es um Energie geht. "Ich verstehe die Aufregung unter den Architekten, finde es aber unsinnig, wenn sie die Dämmung abschaffen wollen. Was die Ästhetik betrifft, überhöht da die Zunft ihre Leistungen. Die Masse der Bauten aus den 50er- und 60er-Jahren ist ja nicht besonders ästhetisch."
Mehrwert der massiven Wand
Auch die Industrie ist in die PR-Offensive gegangen und wirbt inzwischen mit dem Begriff der architektonischen Qualität um die Gunst der Öffentlichkeit: Die "Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme" lobt jedes Jahr den Ethouse Award aus - mit dem Preis für 2013 wurden im November vier Bauten, darunter ein zum Passivhaus saniertes Wohnhaus in Klosterneuburg-Kierling aus dem Jahre 1979, ausgezeichnet.
Abseits aller bauphysikalischen Fragen geht es nicht zuletzt um das Stadtbild: Will man Straßen für Straßen im dicken Chemiepullover-Look? Der Weg der Architekten, die hier nach Auswegen suchen, führt nicht selten zurück zu den Wurzeln des einfachen Bauens. Sie entdecken den Mehrwert der massiven Wand wieder, die Wärme speichert und dabei optisch in Würde altert. Ein erster experimenteller Ansatz war die Mustersiedlung 9 =12 in Wien-Hadersdorf, die 2007 den Sichtbeton vor das Plastik setzte.
Bauen ohne Dämmung
Heute versucht man, den Schaumstoff ganz zu eliminieren. In Berlin bauten Zanderroth Architekten ein Mehrfamilienhaus mit 55 Zentimetern Leichtbeton und sonst nichts. In Österreich tun es ihnen Architekten wie Dietmar Eberle gleich, dessen styroporloses Bürohaus "2226" in Lustenau ohne Dämmung auskommt (DER STANDARD berichtete).
Ein Münchner Büro wiederum geht einen anderen Weg: Hild und K Architekten haben soeben ein Buch zum Thema herausgegeben. Der Tenor: Wenn man schon nicht um Wärmedämmsysteme herumkommt, sollte man zumindest versuchen, damit zu arbeiten.
"Die Architekten werden durch gesetzliche Vorschriften und wirtschaftliche Zwänge heute gezwungen, Wärmedämmverbundsysteme zu verwenden, gegen die sie zum Teil zu Recht, zum Teil aus Gründen der Sozialisation, Vorbehalte haben", sagt Architekt Andreas Hild. Das heißt: Sie wurden in der Tradition der Moderne ausgebildet, in der "Echtheit" höchstes Gebot war. Hild habe selbst auch gewisse Vorbehalte. Trotz dieser Vorbehalte hat er sich dem Thema pragmatisch genähert. Weil es sonst niemand tut. "In Deutschland kann man ein Haus ohne Genehmigung und ohne Architekten dämmen. Wenn sich Architekten nicht zuständig fühlen, führt das zu unkontrollierter Zerstörung. Wir versuchen, konstruktive Lösungen zu liefern."
Das Ringen hat erst begonnen
Mit ihren Projekten versuchen Hild und K Architekten, aus der Notwendigkeit das Beste zu machen, das heißt den sonst flach verklebten Stoff zu schichten und zu schnitzen, sodass eine Fassade mit baukünstlerischem Mehrwert entsteht: Das Styropor wird dreidimensional. Stilmittel oder nur Fassadenkosmetik? Für Andreas Hild eine Antwort auf die Sachzwänge der Zeit. "Wenn wir dämmen wollen, werden die Bauten sich verändern. Aber auch wer Dämmen ablehnt, muss eine Maßnahme ergreifen, um Änderungen kommt man nicht herum. Oft genug hat sich die Geschichte durch äußere Vorschriften verändert." Ob sie sich ihn nun zunutze machen, ersetzen oder bekämpfen: Das Ringen der Architekten mit dem schön-schiachen Schaum hat erst begonnen.