Der 37.Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb brachte Erleichterung in Klagenfurt und eine verdiente Gewinnerin
Besser hätte man sich die Dramaturgie kaum ausdenken können: Zunächst die Androhung des ORF, die Tage der deutschsprachigen Literatur, vulgo Ingeborg-Bachmann-Preis, nicht mehr auszurichten - just zwei Wochen vor Beginn der jüngsten Ausgabe. Dazu gab es dann vor Ort aufziehenden Gewitterregenwolken als fast schon übertrieben metaphorisch-meteorologisches Bühnenbild.
Hinter den Palisaden eines gallischen Dorfs die Verteidiger des Kultur- und Bildungsauftrages und der Klagenfurter Institution; auf der anderen Seite ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, Verkünder der Drohbotschaft, in der Schurkenrolle des Stücks, sekundiert von all jenen, die es schon immer gewusst hatten und nun mit triumphalem „Endlich!“ dem hochdotierten Literaturwettbewerb schon voreilige Grabreden hielten.
Der eigentliche Bewerb zeigte sich dann von dieser Rahmenhandlung völlig unbeeindruckt und lief, wie immer, kurzweilig und konzentriert ab, als wolle er zeigen, was ihn schon immer ausgezeichnet hat: Dass das öffentliche, ausführliche Reden über Literatur in einem physischen Da-Sein am selben Ort einen fundamentalen Mehrwert hat gegenüber hehren Monologen, die in den germanistischen Schreibstuben ausgetüftelt werden.
Fast alle ausgewählten Texte waren von angemessen hoher Qualität. Den höchsten Entertainment-Faktor boten der langjährige Burgschauspieler und Neo-Romanautor Joachim Meyerhoff mit einem erwartbar intensiv vorgetragenen, rasanten Buchklau-Schelmenstück, und der in Porto Alegre geborene Zé do Rock mit seinem bayrisch-portugiesischen Kunstkauderwelsch, das nicht ohne Reiz war, dessen Geschichte inhaltlich aber über „Skurriles aus Brasilien“ nicht hinauskam.
Eindeutiger Favorit von Jury und Publikum wurde die in Kiew geborene und in Berlin lebende Katja Petrowskaja, sicher auch wegen ihres Vortrages, der weder ein Vorlesen noch ein Nachspielen, sondern wirkliches Erzählen war. Für „Vielleicht Esther“, die imaginierte Geschichte ihrer Urgroßmutter, die bei der Flucht vor den Nazis 1941 als einzige in Kiew zurückblieb und ermordet wurde, bekam sie dann auch den Bachmannpreis. Nach Maja Haderlap (2011) und Olga Martynova (2012) bestätigt Katja Petrowskaja, die ebenso wie ihre Vorgängerin nicht in der eigenen Muttersprache schreibt, die Klagenfurter Slawophilie.
Die naheliegende Frage, ob die schwere Bedeutsamkeit des Themas Nationalsozialismus mehr als der sprachliche Gehalt zur Preisentscheidung geführt hatte, wurde von den Jurorinnen und Juroren bewusst verneint. Auch die Autorin selbst hatte, wie sie nach der Preisverleihung erzählte, befürchtet, die Betroffenheit könne die Urteilskraft der Jury aushebeln. Die Sorge erwies sich im Nachhinein als unbegründet. Dennoch, so die Siegerin generös, habe sie sich mehr Kritik gewünscht, und den Preis eigentlich Roman Ehrlich aus Berlin vergönnt, der mit seiner sehr gelungenen Bombenbastler-Landdystopie knapp leer ausgegangen war.
Die weiteren mit Preisen bedachten Texte verteilten sich sauber auf die Generationen ihrer Protagonisten. Verena Güntners sprachlich überzeugende Innenschau eines dezent anverwahrlosten 16-jährigen zwischen Höhenangst und pubertären Naßforschheit bekam den KELAG-Preis.
Berechtigtes Lob und der 3sat-Preis gingen an Benjamin Maack aus Hamburg, der von einem 12-jährigen, in seiner Welt verschlossenen Käfersammler erzählte, eine Erzählung mit bedrohlichem Sog, die sich mit einem zarten Plot-Twist am Ende in ein Idyll auflöste. Heinz Helles „Wir sind schön“, das Porträt eines in unerträglich perfekter wohlstandsumrahmter Zweisamkeit erstarrten Paares in Hochglanz-Gefühllosigkeit, wurde mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet.
Die einzigen angetretenen Österreicherinnen, Nadine Kegele und Cordula Simon, ernteten mehr Kritik als Lob für ihre Texte. Nichtsdestprotz ging der per Internetabstimmung ermittelten Publikumspreis an die gebürtige Vorarlbergerin Kegele - sichtlich zu ihrer eigenen Überraschung.
Für den Wettbewerb selbst hatte das Drehbuch ebenfalls noch eine Wendung zum Guten im vorgesehen: Schon während des Bewerbs war durchgesickert, dass ORF-Chef Wrabetz zur Preisverleihung in Klagenfurt persönlich erscheinen würde. Das ließ hoffen.
Mitten im spätnächtlichen, feierfreudigen Begleitprogramm am Lendhafen, tauchte der Generaldirektor, von Juroren flankiert, dann tatsächlich selbst auf, um sich ein Bild von der Unentbehrlichkeit des Bewerbs machen zu lassen. Das sei ja alles sehr toll hier, urteilte er beeindruckt. Vor der Wand mit Petitionen für den Erhalt des Bachmannpreises, den der rührige Kulturverein Lendhauer unter dem Motto „Bachmann bleibt“ initiiert hatte, setzte sich Wrabetz an die Schreibmaschinen um höchstselbst die erlösenden Worte „Bachmannpreis muss bleiben, weil er wichtig ist, weil die Bedeutung vielen bewusst geworden ist“ zu verfassen.
Die von einer schummrigen Leselampe erhellte Szenerie sah ein bisschen so aus, als würde ein Diktator vor laufenden Fernsehkameras zur Abdankung gezwungen.
Dass Fernsehdirektoren mitten in der Nacht auf Partys Petitionen gegen sich selbst unterschreiben, das gebe es wohl nur in Österreich, urteilten nicht wenige Augenzeugen aus dem deutschsprachigen Nachbarland. Die Ansicht, dass das Manöver mit Kehrtwende von vornherein ganz kalkuliert zur Lukrierung der nötigen Geldquellen unternommen worden sei, wies Wrabetz dabei von sich.
Am nächsten Tag verkündete er noch vor der Preisverleihung, unter Applaus die nun nicht mehr ganz überraschenden Worte: „Der Bachmannpreis bleibt in Klagenfurt, und er bleibt im Fernsehen.“ Zur Sicherung der Finanzierung hatte er sich kurz zuvor mit Vertretern des Landes und der Stadt Klagenfurt getroffen. Und Burkhard Spinnen durfte Wrabetz in seiner Abschlussrede als „neuen, starken Freund des Bachmannpreises“ begrüßen. Die Idylle war gerettet, das gallische Dorf am Wörthersee kann die Palisaden also wieder abbauen. Bis auf weiteres.