Ein Spitz voller Ecken

Von außen zeigt der neue Konzertsaal der Wiener Sängerknaben all zu deutlich die Umstände seines Entstehens. Im Inneren wartet dafür die Belohnung.

Dass das Drumherum der Architektur hineinredet, ist an sich nichts Schlechtes. Wenn das Drumherum jedoch zu laut ist, kann eine Idee zugrunde gehen. Am neuen Sängerknaben-Konzertsaal MuTh, der nach 10 Jahren und etlichen Namensänderungen jetzt fertig geworden ist, kann man das ausgezeichnet beobachten. Er ist genau dort gut geworden, wo am wenigsten hineingeredet wurde.

Selbst wenn man die Begleitumstände des Baus nicht kennt, sind sie ihm anzusehen, zumindest beim Blick von der Oberen Augartenstraße. Ein ohnehin schwieriger Bauplatz an einem Eck, das schon doppelt besetzt war, vom markanten Eckhaus Castellezgasse und dem Pförtnerhaus.

Dem Neubau (archipel Architekten) merkt man die Anstrengung an, all dem gerecht zu werden: Er muss seine Fassade hinter der sakrosankt gewordenen Augartenmauer verstecken, soll aber gleichzeitig zeigen, dass er existiert, eine Nase mit dem Namen MuTh ragt daher oben spitz aus dem Eck. Dabei stieß der erste Entwurf noch selbstbewusst bis zum Eck des Spitzes vor, 2008 musste das barocke Pförtnerhaus dann doch erhalten bleiben. Das ist, wie man jetzt deutlich sieht, bedauerlich. Die kristallin-eckige Form wurde eingekeilt und ragt nun als Haufen von Ecken aus dem Spitz; der notwendig gewordene Übergang zum aufwändig reanimierten Altbau, der jetzt Kasse und Café beherbergt, wurde zum geometrischen Dachflächendurcheinander. Ein visueller Auffahrunfall in Zeitlupe, in dessen schmaler Knautschzone jetzt der Platz für ein richtiges Foyer fehlt und Konzertbesucher Verkehrsinfarkte erzeugen.

Erst am augartenseitigen Eingang kommt das Haus zur Ruhe, öffnet sich mit großen Fensterflächen zum Grün. Der Trost für all die Kompromisse schließlich wird im Inneren gewährt. Hier sieht man, was möglich ist, wenn Architekten und Auftraggeber in Ruhe arbeiten können: Der am wenigsten unumstrittene Teil des Ganzen, der Saal selbst, ist ein wahre Pracht geworden.

Betritt man ihn, glaubt man sich einer räumlichen Täuschung auf den Leim gegangen: Wie passt ein so ein großer Raum in so ein kleines Gebäude? Ausgekleidet in warmem Nussbaumholz, dunkelrot gepolstert, alle Spitzen und Ecken gezähmt und Richtung Bühne fokussiert, eine feierliche Sachlichkeit ausstrahlend. So ist es zum Glück die wichtigste Idee, die im MuTh geglückt ist: Der Raum für die Musik.

 

(erschienen in: FALTER 49/12, 5.12.2012)