Seit 25 Jahren gibt es in Wien das Instrument der Bauträgerwettbewerbe. Von der Öffentlichkeit wenig beachtet, produziert es Wohnbauten mit hoher Qualität, aber auch viel guten Durchschnitt, und immer mehr Masse.

Der Beruf des Stadtplaners ist ein Phantom. Landläufig, pardon: stadtläufig, stellen sich viele immer noch einen singulären Masterplaner vor, der nach Gutdünken aufzeichnet, wie hoch ein Häuserblock sein und wo ein Mistkübel stehen darf, woraufhin diese Zeichnung von wieselflinken Stadtbaufirmen genauso umgesetzt wird. Das ist natürlich falsch. Stadtplanung ist ein kompliziertes Geflecht aus Politik, Verwaltung, Fachplanern und Öffentlichkeit. Gerade die schönsten Städte verdanken ihre Gestalt vor allem strengen Baugesetzen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Das Rote Wien wäre ohne die Wohnbausteuer nie realisiert worden. „Form folgt Paragraph“, wie es die gleichnamige Ausstellung im Wiener AzW 2017 formulierte.

Kein Wunder, dass der gesetzliche Mechanismus, der seit inzwischen 25 Jahren das Wiener Stadtbild prägt, über die Fachwelt hinaus kaum bekannt ist: Der Bauträgerwettbewerb. Seit 1995 wird ein solcher vom wohnfonds_wien ausgelobt, wenn städtische Liegenschaften mit bebaut werden. Das Besondere: Wie der Name besagt, reichen Bauträger und Architekten als Teams ein, es ist also kein reiner Architekturwettbewerb, denn der Sieger bekommt schließlich das Grundstück.

Eine halbe Million Wohnungen errichtete der Konzern Neue Heimat in den 1950er bis 1970er Jahren in der BRD. Sein skandalöses Ende bedeutet auch das Ende des sozialen Wohnbaus in Deutschland. Eine Ausstellung in Frankfurt macht sich jetzt an eine Neubewertung.

Das Jahr 1982 hatte nicht gut begonnen für die bundesdeutsche Sozialdemokratie. Der Koalitionspartner FDP sprach SPD-Kanzler Helmut Schmidt zwar noch am 3.Februar das Vertrauen aus, doch die Liberalen rebellierten gegen die rote Wirtschaftspolitik, der Kalte Krieg und seine stationierten US-Raketen spalteten die Partei von Kanzler Helmut Schmidt. Der Anfang vom Ende des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaats begann wenige Tage später, am 8.Februar. „Neue Heimat. Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen“ titelte das Magazin „Der Spiegel“ an jenem Montag.

Die gewerkschaftseigene Wohnbaugesellschaft Neue Heimat war die mächtigste der Bundesrepublik, sie hatte nicht nur rund eine halbe Million Wohnungen errichtet, sondern auch Schwimmbäder, Krankenhäuser und Kongresszentren. Entstanden in den 1920er Jahren, bekam sie in der NS-Zeit ihren Namen und wurde 1954 als Großkonzern neu gegründet. Zwar immer noch gemeinnützig, hatte sie über die Jahre ein Geflecht aus gewinnorientierten Nebenfirmen etabliert. Wie der Spiegel aufdeckte, hatten der NH-Vorstandsvorsitzende Albert Vietor („King Albert“) und andere Funktionäre sich über Strohmänner schamlos an Grundstückskäufen und an den eigenen Mietern bereichert. Der Schaden: Mehrere hundert Millionen Mark. Gewerkschaftlich-solidarischer Ethos sah anders aus.

Eine Woche später wurde Vietor fristlos entlassen. Im September 1982 wechselte die FDP die Seiten, am 1.Oktober begann unter Helmut Kohl die sogenannte „geistig-moralische Wende“. Die Neue Heimat wurde 1986 für eine symbolische D-Mark an einen Berliner Bäcker verkauft und 1990 aufgelöst. Die Titanic des deutschen Nachkriegswohnbaus war gesunken. Die Steuerreform 1988 besiegelte das Ende der Gemeinnützigkeit in Deutschland. Der Wohnbau wurde weitgehend dem freien Markt überlassen, auch von Sozialdemokraten: Noch 2004 verscherbelte die Berliner SPD unter Rechtsaußen-Finanzsenator Thilo Sarrazin die Wohnungsbaugesellschaft GSW mit 65.000 Wohnungen an ein US-Konsortium. Heute versucht Berlin, seine Wohnungen wieder zurückzubekommen. Der soziale Wohnbau in Deutschland erholte sich nie wieder von diesem Skandal.

Ein überzeugter Europäer und ein virtuoser Bildhauer der Spätmoderne: Der gefeierte und umstrittene slowakische Architekt Vladimír Dedeček ist im Alter von 90 Jahren gestorben.

Vladimír Dedeček war es nicht mehr gewohnt, Gäste zu empfangen. Dabei war der fragile, kleine Herr ausgesprochen höflich, geradezu galant, aber das Innere seines von ihm selbst entworfenen Reihenhauses am Stadtrand von Bratislava war leer und still, auf dem Esstisch stand ein extra für die Gäste aus Wien gekaufter Kuchen, der etwas verloren aussah.

Die Architektur der Nachkriegszeit wird nach und nach wiederentdeckt, aber Kärnten blieb bisher ein weißer Fleck. Ein Forschungsprojekt dokumentiert nun die Ära der Süd-Moderne

"Alles Leben ist abgewandert in Baukästen, / neue Not mildert man sanitär, in den Alleen / blüht die Kastanie duftlos." Eine Architektur der trostlosen Sauberkeit beschreibt Ingeborg Bachmann 1957 in ihrem Gedicht Große Landschaft bei Wien.

Städte nutzen die Corona-Krise, um den öffentlichen Raum neu zu ordnen. Auch im gallischen Dorf der Fahrspurfetischisten, der Autometropole Stuttgart?

Es grenzt an ein Wunder, dass dieser Platz noch nie zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Deutschland und Österreich geführt hat. Eine mehrgeschoßige Betonkrake aus Rampen, Abbiegespuren, Parkplätzen und einem Kreisverkehr, laut, dreckig und für Fußgänger unüberquerbar. Der Österreichische Platz in Stuttgart, 1961 im Zuge der "autogerechten Stadt" errichtet, ist zweifellos der hässlichste der Stadt. Das will etwas heißen, denn hier sieht fast jeder größere Platz so aus. Während Düsseldorf und Hannover ihre Hochstraßen der Nachkriegszeit längst abgebrochen haben, regiert in der Heimat von Daimler und Porsche bis heute das Auto.

Während sich Protestierende weinend an Bäume ketteten, die für das Bahnprojekt Stuttgart 21 weichen mussten, wurde am Stadtrand ohne großen Widerstand hektarweise Grünland für Ortsumfahrungen und für Umfahrungen von Ortsumfahrungen (ja, das gibt es) geopfert. Selbst Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, betonte im Dezember, die Autoindustrie sei der "Pfeiler des Wohlstands" und man müsse alles tun, "damit wir Autoland bleiben."

Zwar kündigte Stuttgarts ebenfalls grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn 2019 vorsichtig an, den Autoverkehr um 20 Prozent zu reduzieren, doch immer noch wirkt die Stadt auf den Besucher wie ein gallisches Dorf des Brummbrumm. Sehr viele, sehr neue, sehr riesige Autos auf sehr vielen Fahrspuren, als sei die Stadt in erster Linie eine Teststrecke für die in ihr hergestellten Fahrzeuge. Während andere Städte weltweit den Raum fürs Automobil seit langem radikal beschneiden, wird hier laut aufgeschrien, wenn jemand zaghaft vorschlägt, eine Fahrspur zu opfern. Der Verkehrsfluss! Die Schlüsselindustrie! Der Standort!

Seit zehn Jahren katalogisiert ein Künstlerkollektiv unvollendete Bauten in Italien. Sein Ziel: das "incompiuto" zum Stil zu deklarieren

Ein leerer Platz, gerahmt von Gestrüpp und überwucherten Treppen. Darüber thront ein Gebilde, das aussieht, als habe ein betrunkener Bildhauer ein Parkhaus für ausrangierte Raumgleiter aus Star Wars erbaut. Ein Bauzaun unten, rostige Bewehrungseisen oben, dazwischen ein Gebirge aus grauen Gewölben mit fratzenartigen Löchern darin, ein Scherenschnitt aus Sichtbeton. Dass dies einmal ein Theater werden sollte, weiß man nur, wenn man es weiß. Kein Mensch weit und breit. Dabei ist dies das Zentrum einer Kleinstadt – oder sollte es sein. Der Ort Gibellina Nuova im Westen Siziliens wurde ab 1971 komplett neu errichtet, nachdem das alte Dorf Gibellina 1968 von einem verheerenden Erdbeben komplett zerstört wurde.

Der flamboyante Bürgermeister Ludovico Corrao lud dafür Architekten und Künstler ein, die dem neuen Gibellina Gestalt und Seele geben sollten. Viele Jahre passierte wenig, und auch danach passierte nicht viel. Heute wohnen 5000 Menschen hier anstatt der anvisierten 50.000. Manches wurde begonnen, anderes blieb Idee, und vieles, wie das Theater, wurde begonnen und nie fertig gestellt. Dazwischen herrschen Gras, Beton, Leere: "incompiuto" – unvollendet.

Ein Bild, das in Sizilien keine Seltenheit ist. Hier, wo sich Landstraßen mitten auf einem Feld plötzlich in eine vierspurige Autobahn verwandeln, um einen Kilometer weiter urplötzlich wieder Landstraße zu werden. Es liegt etwas Surreales in diesen unvermittelten Brüchen und etwas Trauriges in ihrer sinnlosen Willkürlichkeit.

Der Schweizer Architekt Andreas Hofer ist Intendant der Internationalen Bauausstellung IBA 27 StadtRegion Stuttgart. Ein Gespräch über das Erbe der Moderne, Lösungen für die Wohnungskrise und über seine Wiener Styropor-Allergie.

Die Region Stuttgart ist eine der reichsten der Welt. Doch wie andere deutsche Städte wurde auch sie von der Wohnungskrise erwischt. Lösungen für diese und andere Fragen erhofft man sich von der Internationalen Bauausstellung IBA 2027 StadtRegion Stuttgart. Deren Intendant, der Schweizer Architekt Andreas Hofer, wurde in Zürich mit innovativen Wohnmodellen bekannt. Diese Woche war er auf Einladung der TU in Wien, einer Stadt, die mit der IBA Wien_2022 ebenfalls eine Internationale Bauausstellung plant.

Wozu braucht man heute überhaupt eine Internationale Bauausstellung? Was ist die Aufgabe einer IBA?

Andreas Hofer:

Ich habe um 1987 in Berlin gewohnt, als dort die IBA stattfand. Das war für mich als junger Architekt ein Meilenstein. Alles wurde diskutiert, Architekten aus der ganzen Welt kamen nach Berlin. Grundsätzlich finde ich: Eine IBA muss eine eigene Geschichte erzählen können.  Manche sagen, das Bauen ist gar nicht so wichtig, wir machen nur Partizipation und Prozesse. Das reicht aber nicht. An der ETH habe ich den schönen Satz gelernt. „Produkte sind Prozesse UND Produkte“. Nicht nur Prozesse. Dieses Zusammenbringen im Maßstab 1:1 habe ich schon immer gemacht: Die Häuser und die Menschen in der Stadt verändern.

Das heißt, das „B“ in IBA ist für Sie ganz elementar.

Absolut. Man muss schon etwas bauen! Sonst wäre es ja auch absurd, mit so vielen Ressourcen über so eine lange Zeit zu arbeiten.

Krisen dominierten die Zehnerjahre. Kann uns wenigstens die Architektur Hoffnung geben? Wir blicken zurück auf zehn Trends, die das Jahrzehnt prägten

Architektur ist eine langsame Kulturtechnik. Aufgeregte Jahrestrends wie in der Mode und im Design zu konstatieren (Trendfarbe 2020: Classic Blue! Wichtige Information!) wäre albern, wenn zwischen Idee und Umsetzung oft Jahre liegen. Eine Dekade lässt sich da schon besser diagnostizieren. Was hat die Architektur zwischen 2010 und 2019 geprägt, und wie hat sie die Welt verändert? Hier sind die retrospektiven Top Ten der Tens.

Statt auf Beton setzt der französische Architekt Arthur Mamou-Mani auf eine Kombination aus Technologie, Handwerk und Emotion in 3D – ohne Arroganz

Sieht so ein Architekturbüro aus? Eine fünfzehnjährige Cosplayerin druckt sich Teile eines Game of Thrones-Kostüms aus. Jemand schneidet per Laser Muster aus einem Perserteppich, bis er aussieht wie Brüsseler Spitze. Ein Nachbar kommt vorbei und baut sich ein neues Regal. Der FabPub im Londoner Stadtteil Hackney ist eine lustige Mischung aus Roboterlabor, Werkstatt und Volkshochschule.

Und ja, er ist Teil eines Architekturbüros, nämlich des Büros von Arthur Mamou-Mani. "Ich finde es großartig, wenn ich morgens zur Arbeit komme, und irgendjemand stellt gerade etwas her", erzählt der 36-jährige Franzose, der seit 2003 in London lebt und vorige Woche zu einem Vortrag in Wien gastierte. "Wir haben heute die Verbindung zur physischen Welt verloren. Hier lernt man wieder, den Wert der Dinge zu schätzen."

Für ihn ist das Nebeneinander von Arbeit und Werkstatt das ideale Architekturbüro des 21. Jahrhunderts. "Als ich vor acht Jahren FabPub gründete, war es mehr ein Nebenprojekt. Viele ermahnten mich, ich solle jetzt bald mal anfangen, richtige Architektur zu machen und Projekte zu akquirieren." Tat er aber nicht. Denn was richtige Architektur ist, bestimmt man immer noch selbst.